Gefängnis für die Menschenretter

Der Aktivist Salam Aldeen berichtet von seiner Arbeit als Rettungsschwimmer auf der griechischen Insel Lesbos

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 6 Min.
Der 32-jährige Salam Aldeen ist einer der Rettungsschwimmer von Lesbos. Der Däne ist Gründer der Hilfsorganisation »Team Humanity«, die bereits über 160 Rettungseinsätze durchgeführt hat. Wegen Menschenschmuggel drohen ihm nun mehrere Jahre Haft. Mit dem Aktivisten sprach für »nd« Fabian Köhler.

Herr Aldeen, Sie kamen als freiwilliger Rettungsschwimmer nach Lesbos, nun kommen Sie gerade aus dem Gefängnis. Was ist passiert?

Wir haben gemacht, was wir immer machen. Wir sind eine Gruppe Rettungsschwimmer aus Dänemark, wir hatten schon über 160 Einsätze, retteten wahrscheinlich 10 000 Menschen. Am Tag meiner Verhaftung bekamen wir einen Anruf, dass auf dem Meer ein Boot in Seenot geraten ist. Wir fuhren los und sahen, dass das Flüchtlingsboot schon halb voll mit Wasser war. 51 Menschen saßen darin. Immer mehr Wasser lief hinein. Ich habe dann die Küstenwache angerufen und sie sagte uns, tut was auch immer ihr könnt, um die Leute zu retten. Also habe ich erst die Frauen und Kinder in mein Boot geholt, auch einen Mann, dem ein Bein fehlte und drei oder vier weitere kranke Männer. Dann haben wir versucht, das Boot in Richtung Land zu schleppen. Doch dann kam die Küstenwache.

Was hat die Küstenwache getan?

Erst starrten sie uns eine Weile an. Dann riefen sie, wir sollen anhalten. Sie befahlen uns, das Seil zu kappen und alle Flüchtlinge auf ihr Schiff zu bringen. Sie machen das oft so, damit sie es so darstellen können, dass sie die Flüchtlinge gerettet haben. Es war ziemlich gefährlich, aber wir schafften es. Schließlich sollten wir mit zur Hafenbehörde an Land kommen. Sie kontrollierten unsere Papiere und ließen uns wieder gehen.

Ich dachte, Sie seien verhaftet worden?

Ja, zwölf Stunden später. Es war zwei Uhr nachts, als wir wieder zwei Boote in Seenot hörten. Die Leute schrien, dass sie untergehen. Aber wir konnten sie in der Nacht nicht finden. Wieder riefen wir die Küstenwache an und zwei oder drei Minuten später steuerte ein großes Marineschiff direkt auf uns zu. Wir konnten gerade noch ausweichen, die Wellen hätten unser Boot fast versenkt. Zehn Minuten später hatten uns drei Schiffe der Küstenwache eingekeilt. Sie befahlen uns, ihnen zu folgen, wir seien verhaftet. Wir dachten, es würde genauso laufen wie am Mittag. Aber als wir im Büro der Hafenbehörde ankamen, gaben sie uns zu verstehen, dass es diesmal ernst sei.

Was haben sie Ihnen vorgeworfen?

Sie beschuldigten uns, dem sinkenden Boot am Mittag geholfen zu haben, nach Griechenland zu kommen.

War das alles?

Sie sagten auch, wir seien bewaffnet gewesen. Sie meinten ein Fischmesser. Ein kleines Fischmesser, um Seile durchzuschneiden. Du brauchst so etwas, wenn du auf dem Wasser unterwegs bist. Sie nannten es eine Waffe. Ich erklärte ihnen, dass wir die Küstenwache gerufen hatten, dass wir nichts falsch gemacht hatten. Wir waren die ganze Zeit in griechischen Gewässern und die Küstenwache wusste, dass wir 51 Menschen das Leben gerettet hatten. Sogar der Arzt der Küstenwache ergriff Partei für uns. Er sagte, wären wir nur zehn oder 15 Minuten später gekommen, wäre ein dreijähriges Kind an Unterkühlung gestorben.

Drei Tage blieben Sie in Haft, während draußen Unterstützer für Ihre Freilassung demonstrierten. Wie ist es Ihnen im Gefängnis ergangen?

Wir waren zu fünft in einem kleinen Raum, ungefähr drei Meter mal drei Meter. Wir konnten uns nicht waschen, es war sehr schmutzig. Aber eigentlich war es okay. Die Wärter behandelten uns respektvoll. Sie wussten, was wir getan hatten. Immer wieder fragten sie uns, ob wir noch Wasser oder Essen brauchen. Wir hatten 48 Stunden, um uns auf unseren Fall vorzubereiten. Zwischendurch haben sie zugegeben, dass wir nicht in türkischen, sondern nur in griechischen Gewässern waren.

Wer hat das zugegeben? Die griechische Küstenwache?

Ja. Wir bekamen ein Schreiben aus Athen, auf dem sinngemäß stand: »Es war ein Fehler, tut uns leid.« Aber trotzdem kam der Fall vor Gericht. Das Gericht ließ uns dann auf Kaution wieder frei. Die anderen Rettungsschwimmer mussten 5000 Euro bezahlen, ich als einziger 10.000 Euro. Und als einziger muss ich jede Woche zur Polizei gehen und als einziger darf ich das Land bis zur Gerichtsverhandlung nicht verlassen.

Angenommen, es geht den Behörden in Wahrheit nicht darum, dass Sie Flüchtlinge nach Griechenland gebracht haben: Welchen Grund vermuten Sie hinter der Verhaftung?

Es geht einfach um Politik. Sie wissen, was ich hier mache. Jeder kennt mich und die anderen Rettungsschwimmer hier. Alle Dokumente, alle Beweise, die Videos, die Handys zeigen, dass wir nicht in der Türkei waren. Aber trotzdem soll mir nun der Prozess gemacht werden. Ich darf nicht zurück nach Dänemark. Ich darf meine Familie nicht sehen. Weshalb? Habe ich jemanden ermordet?

Erzählen Sie mehr über Ihre Arbeit als Rettungsschwimmer auf Lesbos. Was treibt Sie an?

Ich bin 32 Jahre alt. Zu hause in Dänemark habe ich eigentlich nichts weiter gemacht. Ich hatte ein kleines Geschäft, das nicht so besonders lief. Irgendwann sah ich die Bilder von Lesbos und ließ alles zurück, um zu helfen. Ich kam am 15. September hierher, an meinem Geburtstag. Ich habe die Nichtregierungsorganisation »Team Humanity« gegründet, ein Boot gekauft und seitdem retten wir jeden Tag Leben. Warum ich das mache? Weil ich tote Menschen gesehen habe. Seitdem sitze ich hier fest - in einem positiven Sinn. Ich könnte so viele Geschichten erzählen. Seit viereinhalb Monaten riskiere ich hier mein Leben. Ich habe tote Menschen aus dem Wasser gezogen, ich fahre tote Kinder zum Büro der Küstenwache, weil die keine Zeit haben. Ich bin hier, weil ich den Menschen helfen will. Und nun soll ich etwas falsch gemacht haben? Wenn du ein Kind aus dem Wasser rettest und siehst, wie sein Vater und seine Mutter es in die Arme schließen und glücklich sind, dass es überlebt hat, dann kannst du nicht einfach wieder gehen.

Klingt so, als würden Sie weitermachen wollen. Befürchten Sie erneute Repression?

Natürlich werde ich bleiben. Ich werde auch zur Gerichtsverhandlung gehen, ich habe nichts Falsches getan. Ich bin unschuldig und kann das beweisen. Und selbst, wenn sie mich in den Knast stecken, es wäre doch nur eine riesige Blamage für die griechische Regierung. Acht Kinder starben an unserem Küstenabschnitt, während wir im Gefängnis waren. Kein einziges starb in den anderthalb Monaten zuvor, als wir da waren. Wie kann man die Retter ins Gefängnis stecken, während draußen Menschen sterben? Was haben diese Menschen getan? Warum mussten sie sterben? Warum haben sie uns diese Menschen nicht retten lassen? Das ist doch wahnsinnig. Es waren Frauen, Kinder. Wenn sie uns aufhalten, wird es jeden Tag Tote an der griechischen Küste geben.

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