Rente unter der Armutsgrenze droht ab 2030 jedem Zweiten

Arbeitsministerin Nahles kündigt große Rentenreform an / Rentenversicherung: Jetzt darüber reden, was in 15 Jahren geschehen soll / Riexinger: Mindestrente und höherer Mindestlohn notwendig / Sozialverband deutschland: Rentenpolitik korrigieren

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Fast jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in Rente geht, droht eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung unterhalb der Armutsgrenze – vorausgesetzt, er oder sie arbeitet mit dem gleichen Lohnniveau weiter als bisher. Das berichtet der WDR unter Berufung auf eigene Recherchen und Berechnungen - wichtigster Grund für die drohende Welle von Altersarmut sei das sinkende Niveau der gesetzlichen Rente. Laut dem Szenario wäre dann möglicherweise fast die Hälfte der Rentner von staatlichen Grundsicherungsleistungen abhängig - also faktisch Hartz-IV-Empfänger.

Bis 2029 dürften die Renten laut jüngsten Rentenversicherungsbericht im Schnitt zwar um rund zwei Prozent pro Jahr steigen. Von den Löhnen koppeln sich die Renten aber immer mehr ab. Faktoren wie die Nachhaltigkeitsrücklage dämpfen das Rentenplus. Zudem: Immer mehr geburtenstarke Jahrgänge gehen in den Ruhestand. Das Rentenniveau - das Verhältnis der Rente zu den Löhnen - liegt bei rund 48 Prozent. Unter 43 Prozent soll es laut politischer Vorgabe bis 2030 nicht fallen. Derzeit sind knapp 45 Prozent bis 2029 vorhergesagt.

Damit zeichnet sich immer stärker die Rente als ein zentrales Thema für den Bundestagswahlkampf 2017 ab. Zuletzt hatte sich CSU-Chef Horst Seehofer für eine große Rentenreform ausgesprochen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD hat nun ein umfassendes Konzept angekündigt. Aus den Veränderungen der ökonomischen und demografischen Bedingungen ergäben sich neue Antworten, sagte Nahles der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Ich werde dafür sorgen, dass wir diese Antworten zügig, aber mit größter gebotener Sorgfalt erarbeiten und ein Gesamtkonzept vorlegen», so Nahles. Die Regierung wolle im Herbst Berichte zur Alterssicherung und Rentenversicherung vorlegen.

Der Chef der Deutschen Rentenversicherung, Axel Reimann, rief die Politik derweil auf, schon «jetzt darüber zu reden, was nach 2030 geschehen soll». Die Rentenversicherung brauche frühzeitig Klarheit über mögliche neue Zielgrößen bei Beitragssatz und Rentenniveau, sagte Reimann den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks. Im Augenblick sei Altersarmut kein Massenphänomen, derzeit würden rund 2,5 Prozent der Rentner zusätzlich Grundsicherung im Alter erhalten. Allerdings werde dieser Anteil in der näheren Zukunft steigen - auch, weil Langzeitarbeitslose und Niedriglohnempfänger in Rente gehen. Reimann regte «regelmäßige Monitoring-Berichte»« an, um transparent zu machen, in welchem Umfang sich die Bürger auch privat für das Alter abgesichert haben. Dies biete dann die notwendige Grundlage für weitere Reformschritte.

LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger mahnt die Bundesregierung, diese müsste sich als Reaktion auf die Entwicklung endlich »aus ihrem rentenpolitischen Koma rütteln«. Riexinger kritisierte, dass bereits mit der Absenkung des Rentenniveaus unter Rot-Grün de facto eine Enteignung der Normalverdiener begonnen habe. Zudem sei die Teilprivatisierung der Rente durch Maßnahmen wie der Riester-Rente nichts weiter als ein »großer Schwindel« gewesen. Ein wachsender Niedriglohnsektor und immer weniger unbefristete Vollzeitarbeitsplätze verschärften das Problem zunehmend.

Die LINKE fordert deshalb nicht nur eine Mindestrente von 1050 Euro, um Altersarmut zu verhindern, sondern zudem auch eine Anhebung des Mindteslohns auf zehn Euro pro Stunde. Privilegierte Sondersysteme für Besserverdienende müssten hingegen abgeschafft werden.

»Die heute in den Medien veröffentlichten Zahlen zeigen deutlich auf, wie groß der Handlungsbedarf in der Rentenpolitik ist«, warnte Adolf Bauer, Präsident des Sozialverband Deutschland. Insbesondere der politische Wille, das Rentenniveau abzusenken, bleibe weiterhin fatal. Diese Fehlentscheidung bewirke einen schleichenden Abstieg der Rentnerinnen und Rentner, so Bauer. Jetzt müssten »grundlegende Weichenstellungen« erfolgen, ewat durch ein Rentenkonzept gegen Armutsrenten, das wirkt. Agenturen/nd

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