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Mann, das kann doch nicht sein

Übertrieben viele Tote, fade Botschaft: Matthias Dell über den Polizeiruf »Endstation«, der an die Stelle von Handlungen Stimmungen setzt

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 27. Juni 1971 wurde der erste »Polizeiruf 110« ausgestrahlt. Seinerzeit ermittelten Oberleutnant Fuchs und Leutnant Vera Arndt im »Fall Lisa Murnau«. Verdienstvoll ist, dass die ARD das krumme Jubiläum zum Anlass nimmt, um an die Geschichte der in der DDR begonnenen Fernsehreihe zu erinnern. Dass die neue Magdeburger Folge das tollste Geschenk ist, das man dem Publikum machen konnte, wird dagegen keiner behaupten. In den Dimensionen des Konditoreiwesens gesprochen: keine Torte, höchstens ein Keks.

»Das Recht, sich zu sorgen« hieß der »Tatort« von letzter Woche, weil es darin um Sorgerechtsfragen ging. Um die geht es auch im Magdeburger »Polizeiruf«, der heißt aber »Endstation« (MDR-Redaktion: Melanie Brozeit, Wolfgang Voigt). Warum, kann man sich aussuchen. Wie die Folge überhaupt Rätsel aufgibt: Der Drehbuchcredit für Stefan Rogall ist mit dem Hinweis versehen »nach einer Idee von Michael Gantenberg«. Herauszufinden, worin die bestand, würde der Betrachterin eine gewisse Forschungsleistung abnötigen, ist die Geschichte von »Endstation« doch weder aufregend noch originell.

In einer Reinigungsservice-Familie mit einem eigenen und drei Pflegekindern sind die Pflegekinder unzufrieden über den Lebensentwurf der Eltern, den der ältere Pflegesohn »spießig« nennt. Nicht spießig ist es dagegen, Einbrüche mit einem halbgewalkten Freund (RP Kahl) der heroinabhängigen leiblichen Mutter zu machen, für die dann mit teuren Turnschuhen entlohnt wird.

Was man schon auch spießig finden könnte, diese Fixierung aufs Materielle, zumal der Reinigungsservice doch einen gewissen Wohlstand ermöglicht.

Anders gesagt: Man versteht in »Endstation« nicht, warum die Leute tun, was sie tun, und damit hängt zusammen, dass einem nicht eine Figur sympathisch ist. Für einen Film ist das keine gute Bilanz, lebt doch so ein Film wie der »Polizeiruf« von einer gewissen Identifikation mit den handelnden Personen.

Aber in »Endstation« sind an die Stelle von Handlungen Stimmungen gesetzt, es geht um instantane, also augenblickliche Gefühle, die sich motivisch einem geregelten (die Eltern) beziehungsweise sich gegen die Regeln sträubenden Lebensentwurf (die Pflegesöhne) zuordnen lassen. Dazwischen vermittelt eine wohlig-melancholische Musik, die ziemlich genau in der Mitte des Films einmal durchkehrt, also zu Bildern von allen Akteuren, auch den Ermittlerinnen, ihre tröstend-triste Weise singt.

Ob das die Idee von Gantenberg war? Oder ein Einfall von Regisseur Matthias Tiefenbacher, der Magdeburg adäquat diesig zeichnet? Und: Was an der Geschichte hat da jemals jemanden interessiert? Dass die Kommissarin (Claudia Michelsen) der leiblichen Reinigungsservice-Tochter anbietet, sie auf dem Motorrad zur Schule zu fahren, was ein befreites Ich-bin-die-Königin-der-Welt-Lächeln auf die trübe Miene der Tochter zaubert? Freiheitsgefühle auf Beifahrersitzen im deutschen Gegenwartsfilm - darüber müsste mal jemand promovieren, da findet sich reichlich Stoff.

Bitter an »Endstation« ist nicht nur die dröge Geschichte mit übertriebenem Bodycount (zwei Kinder tot) und fader Botschaft (Pflegekinder - dont try this at home!), sondern auch die Tatsache, dass es sich um das Debüt von Matthias Matschke als Kommissar handelt. Ein Mann des Komischen, ein großer Körperklaus, ein Charakter - und dann entwirft ihn diese Folge als einen Typen, der so langweilig ist, dass jeder Soap-Star, der ins richtig Schauspiel wechselt, diesen Dirk Köhler darstellen könnte. Das ist doch trostlos. Köhlers Ankunft macht zudem schlechte Laune bei Michelsens Brasch-Figur, was nicht nur höchstgradig epigonal ist, sondern schon deshalb putzig, weil die Brasch-Figur bislang für die schlechte Laune von Sylvester Groths Heiko Drexler zuständig war.

Die Brasch-Figur hat übrigens ihren Nazi-Sohn aus dem Gefängnis wieder bei sich zu Hause. Und natürlich wird keiner auf die Idee kommen zu behaupten, die Darstellung von Rechtsextremismus im Magdeburger »Polizeiruf« sei irgendwie verdienstvoll. Warum eigentlich nicht?

Eine Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Also noch mal: Das war ganz klar Selbstverteidigung.«

Ein Ansatz, mit dem man jede politische Diskussion bestreiten kann:
»Die verarschen uns doch.«

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