Maas: Rechte Straftaten beginnen mit Alltagsrassismus

Bundesjustizminister warnt im Interview vor einem Demokratie-Schaden wegen Einschüchterungen von rechts

  • Christiane Jacke und Sascha Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Die rechte Szene wächst, rechtsextreme Straftaten haben deutlich zugenommen, die Zahl der Übergriffe gegen Asylunterkünfte ist in die Höhe geschnellt. Im Netz entlädt sich viel Hass von Fremdenfeinden. Ausländer werden beschimpft, Politiker bedroht. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erzählt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), was ihm bei der Entwicklung besonders Sorgen macht, in welcher Rolle er die AfD dabei sieht und wie er selbst mit Drohungen von rechtsaußen umgeht.

Wie viele organisierte Strukturen stehen hinter der rechten Gewalt in Deutschland?
Die Entwicklung ist besorgniserregend. Im rechten Spektrum kommt es zu immer intensiveren organisatorischen Zusammenschlüssen. Gewaltbereite Gruppen verabreden sich gezielt, Verbrechen zu begehen - mit klaren rechtsextremistischen Motiven. Das ist sehr ernst zu nehmen. Genauso beunruhigend ist, dass hinter der Mehrheit der Übergriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte gerade keine organisierten Strukturen stecken, sondern Leute, die bisher weder strafrechtlich noch im politischen Extremismus irgendwie in Erscheinung getreten sind - bislang »normale Bürger« also. Die Hemmschwelle für Straftaten sinkt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Zur Person

Heiko Maas ist seit 2013 Bundesjustizminister. Er ist seit 2000 Chef der SPD im Saarland und sitzt seit 2001 auch im Bundesvorstand seiner Partei.

Was lässt sich dagegen tun?
Wir müssen an drei Stellen ansetzen: Zum einen ist der Rechtsstaat gefordert, solche Straftaten mit aller Entschlossenheit zu verfolgen. Zum anderen stehen die Betreiber von sozialen Plattformen wie Twitter oder Facebook in der Pflicht, die Verbreitung von Hasskriminalität im Netz zu verhindern. Die verbale Radikalisierung wird besonders im Netz immer heftiger. Und: Die gesamte Zivilgesellschaft ist gefordert.

Was erwarten Sie von den Bürgern?
Rechtsextremismus und rechte Straftaten - all das beginnt oft mit Worten und Alltagsrassismus. Wir alle dürfen das nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Hass und Hetze müssen wir widersprechen. Alle, die Deutschland als weltoffenes und tolerantes Land sehen, sind aufgefordert, laut dafür einzutreten. Wenn die schweigende Mehrheit weiter schweigt, dann wird in den sozialen Medien und auf der Straße immer mehr der Eindruck erweckt, dass es mehr Rechtspopulisten und Rechtsextreme gibt, als das in Wirklichkeit der Fall ist.

Also, was soll der Einzelne konkret machen?
Jeder muss sich fragen, was er gegen rechte Parolen tun kann - in der U-Bahn, auf dem Arbeitsplatz, auf dem Fußballplatz, in der Kneipe - wo auch immer. Deshalb müssen alle aus der schweigenden Mehrheit die Gardinen, hinter denen sie stehen, zurückziehen, das Fenster aufmachen und sich nicht nur anschauen, was auf der Straße geschieht, sondern sich einmischen und den Mund aufmachen.

Werden Hassbotschaften im Netz konsequent genug verfolgt?
Wer seine Zeit vergeudet, indem er solchen Müll absondert, wird damit nichts erreichen. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile werden Leute wegen wiederholter Volksverhetzung auf Facebook oder anderswo zu Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.

Hat die AfD einen Anteil an der Zunahme rechter Gewalt?
Die AfD und einzelne Protagonisten der Partei gehören ganz klar zu den verbalen Brandstiftern, die das Thema nutzen und die auf dieser Welle segeln, um daraus politisch Kapital zu schlagen.

Es gibt Forderungen, auch aus Ihrer Partei, der Verfassungsschutz müsse Teile der AfD beobachten. Was meinen Sie?
Dafür gibt es klare Kriterien, nach denen das ganz objektiv geprüft werden sollte. Grundsätzlich dürfen wir es uns nicht so einfach machen und glauben, allein damit sei das Problem erledigt. Die Partei sitzt in der Hälfte der deutschen Parlamente. Und sie wird möglicherweise demnächst in den Bundestag einziehen. Die AfD nun lediglich als Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz einzustufen und zu meinen, damit habe man das Problem im Griff - das ist ein Irrglaube. Nötig ist eine sachliche, politische Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Themen.

Sie sind selbst zur Zielscheibe von rechtem Hass geworden, bekommen Morddrohungen, hatten schon eine Pistolenpatrone im Briefkasten Ihrer Privatwohnung. Wie leben Sie damit?
Was ich da erhalte, ist teilweise so bar jeden Verstandes, dass ich das einfach nicht ernst nehmen kann. In meiner Arbeit beeinflusst mich das überhaupt nicht. Und das halten andere, die ich kenne und die sich mit ähnlichen Dingen auseinandersetzen müssen, genauso. Es geht nicht darum, ob es den Bundespräsidenten trifft – wie zuletzt in Sebnitz - oder mich oder wen auch immer. Schlimm ist es vor allem für die vielen Ehrenamtlichen, die sich politisch vor Ort engagieren, und von denen unsere Demokratie lebt. Es geht darum, dass wir nicht irgendwann in einem Klima leben, in dem sich die Leute
nicht mehr trauen, den Mund aufzumachen. Das darf nicht sein. Das kann kein Bürger in einem freien Land akzeptieren.

Befürchten Sie, dass sich manch einer wegen solcher Einschüchterungsversuche von der politischen Arbeit abhalten lässt?
Ja, das gibt es bedauerlicherweise. Dafür muss man Verständnis haben. Es gibt auch Fälle etwa in Sachsen, in denen es schwierig ist, überhaupt noch politisch zu arbeiten. Da trauen sich Parteien zum Teil gar nicht mehr mit ihren Wahlkampfständen auf die Straße. Das hat ein Ausmaß erreicht, das wir nicht einfach so hinnehmen können. Es gibt viele Menschen, die wegen ihres Engagements Angst haben müssen vor rechten Übergriffen. Das ist für unsere Demokratie verheerend.

Gab es Situationen, in denen Sie selbst Angst hatten - zum Beispiel weil Drohungen so konkret waren, dass es ihnen nicht gelungen ist, das einfach abzutun?
Was die Konkretheit der Drohungen angeht, habe ich schon fast alle Stadien erlebt. Aber Angst hatte ich nie - wenn, dann nicht um mich, sondern eher um Menschen in meinem Umfeld und um alle, die
sich vor Ort ehrenamtlich engagieren und dafür angefeindet werden. dpa/nd

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