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Jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin zu töten
Auf einer Tagung wollen Feministinnen über die äußerste Zuspitzung patriarchaler Gewalt in Deutschland diskutieren: über Frauenmorde
Frauenmorde sind bislang in Lateinamerika ein Thema - in Deutschland wird unter dem Hashtag #metoo eher über sexuelle Belästigung diskutiert. Ist Gewalt gegen Frauen hier harmloser?
Frauenmorde sind auch in Deutschland ein Problem. Leider gibt es hier noch kein Bewusstsein darüber.
Wie viele Frauen werden denn umgebracht?
Im vergangenen Jahr wurden 158 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner getötet, 211 überlebten den Mordversuch oder den versuchten Totschlag, also nur durch Glück. Jeden Tag findet in Deutschland demnach ein Mord oder eine versuchte Tötung an einer Frau statt, allein in der Partnerschaft.
Ist das viel?
Das ist auf jeden Fall zu viel. In Mexiko geht man von sieben Frauenmorden pro Tag aus. Hier begannen die Proteste gegen Femizide. Massenproteste von Frauen in Argentinien haben das Thema 2016 auf die internationale Agenda gehoben.
Kann man sagen: Wo insgesamt mehr Menschen sterben, sterben auch mehr Frauen?
Ja, das allgemeine Gewaltniveau schlägt sich auch hier nieder. Aber Frauenmord, auch Femizid genannt, heißt nicht einfach, dass eine Frau umgebracht wird – sondern, dass eine Frau aus dem Grund stirbt, dass sie eine Frau ist.
Zum Beispiel?
Mord durch den Partner, so genannte Ehrenmorde oder Vergewaltigung mit Todesfolge. Raubmord etwa gilt nicht als Femizid.
Es geht also nicht nur um Gewalt in Partnerschaften?
Das ist das Problem: Nur 40 Prozent der ermordeten Frauen starben in Partnerschaften. Was ist mit den anderen 60 Prozent: Raubmord? Mord nach Vergewaltigung? Wir wissen es nicht, dazu werden keine Daten erhoben. In Italien, Polen, Spanien und Irland ist die Problematik wesentlich besser erforscht.
Was kann getan werden, um gegen Femizide vorzugehen?
Zum Beispiel muss der Staat mehr Frauenhausplätze schaffen. Über 13.000 Frauen werden jährlich abgewiesen. Beratung und Schutz für Frauen sind jedoch zentral, um eine Eskalation zu vermeiden. Die bedrohte Frau muss aus der Situation raus, bevor es zum Äußersten kommt.
Wird bei der Prävention auch über die Täter nachgedacht?
Natürlich müsste man an vielen Orten ansetzen. Feministinnen fordern schon lange, Geschlechterrollen früh in Erziehung und Bildung zu bearbeiten. Frauenmorde sind nur die Spitze des Eisberges einer patriarchalen Kultur.
An #metoo wird kritisiert, dass darin von sexistischen Witzen über sexuelle Gewalt bis zu Vergewaltigung alles in einen Topf geworfen wird. Wenn Sie jetzt Frauenmorde mit in die Diskussion ziehen – geht das nicht zu weit?
Es sind verschiedene Momente auf einer Skala. Natürlich bringt nicht jeder, der einen sexistischen Witz macht, irgendwann auch eine Frau um. Aber je stärker Frauen generell aufgrund eines sexistischen Konsens abgewertet werden, kulturell wie materiell, desto mehr Gewalt erfahren sie.
Finden in gehobenen Milieus weniger Frauenmorde statt als unter Deklassierten?
Frauenmorde finden in allen gesellschaftlichen Schichten statt. Auch der Migrationshintergrund spielt statistisch keine Rolle. Es wurde hingegen herausgefunden, dass Frauen, die mehr verdienen als ihr Mann, deutlich häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen sind.
Wieso das?
Aus demselben Grund, warum Frauen in Trennungsphasen verstärkt Gewalt ausgesetzt sind: Der Mann verliert die Kontrolle über sie – und schlägt zu. Das gleiche sehen wir in vielen #metoo-Geschichten. Sobald Frauen in der Arbeitswelt machtvoll auftreten, erfahren sie sexistische Witze oder werden sexuell belästigt.
Worum geht es bei dieser männlichen Gewalt an Frauen?
Es geht darum, die Frau klein zu machen, die an der patriarchalen Ordnung wackelt. Es geht um Macht.
Sie organisieren am Samstag zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Tagung zu Femiziden. Mit welchem Ziel?
Zunächst einmal gilt es, ein Bewusstsein darüber zu schaffen, dass Frauenmorde in Deutschland stattfinden. In Mexiko braucht es diese Arbeit nicht mehr, hier kennt fast jeder eine Frau, die ermordet worden ist.
Und wie wollen Sie das erreichen?
Wir diskutieren über Verbesserungen in der medialen Berichterstattung. Hier müssen wir dringend wegkommen von Begriffen wie »Eifersuchtsdrama« oder »Familientragödie«. Es geht nicht um einen Schicksalsschlag, sondern um Mord. Es wird außerdem einen Workshop zum bestehenden Strafrecht geben.
Wozu ist das Strafrecht relevant? Ein Mord wird doch ohnehin als solcher verfolgt?
Nicht ganz. Ob es sich um Totschlag oder um Mord handelt, hängt davon ab, ob es niedere Beweggründe gibt. Wenn Männer ihre Frauen im Streit töten, ist daran nichts Heimtückisches: Er ist einfach auf sie losgegangen, und dann stirbt sie. Wenn Frauen ihre Männer töten, benutzen sie häufiger Gift oder ersticken ihn im Schlaf – das gilt dann als heimtückisch und wird stärker bestraft.
Wie viele Männer sterben auf diese Weise?
15 Männer wurden 2016 von ihrer Partnerin ermordet oder totgeschlagen.
Haben Sie den Eindruck, dass sich die Bedingungen für eine Debatte über patriarchale Gewalt durch #metoo verbessert haben?
Ja, das Bewusstsein über Sexismus wächst. Gleichzeitig gibt es jedoch einen rechten Backlash. Es werden Begriffe wie Gender-Ideologie oder Gender-Terror etabliert, um die Bewegung zu schwächen. Leider hat sich der Diskursraum auch nach rechts geöffnet.
Ein Widerspruch?
Nicht unbedingt: Der rechte Gegenangriff hat auch mit der wachsenden Stärke der feministischen Bewegung zu tun. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir noch stärker werden.
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