Mach es wie die Japaner

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Neulich an der Wohnungstür: Es ist halb neun am Samstagmorgen. Es klingelt. Der Herr des Hauses schlurft in Pantoffeln zur Gegensprechanlage. »Guten Tag«, grüßt eine hörbar gut gelaunte Männerstimme unten an der Haustür. »Ich möchte mit Ihnen über Gott reden.«

Gut, ich hätte jetzt antworten können: »Der wohnt hier nicht« oder: »Der ist gerade bei Biene Maja und muss auf ihren Willi aufpassen«, aber so schlagfertig ist man am Wochenende um diese Uhrzeit noch nicht. Stattdessen habe ich den braven Gottesmann brüsk abgewiesen: »Ich brauche keine neue Bibel, ich habe schon eine; einen guten Tag noch!«

In Japan, da hätte man ihm anderes geantwortet. Etwa in der Art, dass der Glaube eine ähnlich intime Angelegenheit sei wie die Sexualität, und wer möchte schon mit wildfremden Menschen über seine persönlichen sexuellen Vorlieben und Praktiken reden? Man hat selbst den eigenen Eltern nie erzählt, wie oft man früher pro Woche masturbiert hat!

Ob die Geschichte mit Japan und der Religion stimmt, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur soviel. Ein Bekannter, der ein Jahr in Japan gelebt hat, hat sie mir einst erzählt, und ich habe keinen Grund, an der Wahrhaftigkeit dieses Menschen zu zweifeln.

Ich habe dann vom Küchenfenster aus beobachtet, wie sich der junge Mann im dunklen Anzug zum nächsten Haus aufgemacht hat. Auch dort verweigerte man ihm den Zutritt; Gleiches widerfuhr ihm in der ganzen Straße. Dann verschwand er aus meinem Blickfeld.

Der Glaube des Mannes muss sehr fest sein, dass er sich diese Mühsal aufbürdet, dachte ich bei mir. Dann tat er mir leid. Es war Winter, es war kalt und es war noch nicht einmal richtig heller Tag. Gibt es denn niemanden im ganzen Viertel, der sich seiner erbarmt und ihm wenigstens eine seiner Bibeln abnimmt? Am Nachmittag war ich bei einer guten Bekannten eingeladen, die drei Straßen weiter wohnt. Ich berichtete ihr von dem morgendlichen Besuch. Der Gottesbote habe auch an ihrer Tür geklingelt, sagte sie daraufhin. »Und«, fragte ich sie, »hast du ihn reingelassen?« »Selbstverständlich«, antwortete die Leichtgläubige. »Er ist eine ganze Stunde geblieben; er hat mir von seinem Glauben erzählt, von der Botschaft Jesu, von der Vergebung, dem Himmelreich, von Gott und der Welt sozusagen. Wir haben Kaffee getrunken, es war ganz nett.«

»Das ist ja ekelhaft«, entgegnete ich. »Da hättest du ja gleich mit ihm Sex haben können!« »Na hör mal!«, empörte sich die Gute. »Doch«, sagte ich bestimmt und berichtete ihr von den japanischen Bräuchen und Sichtweisen.

Das leuchtete ihr schließlich ein. »Aber«, sagte sie dann, »Gott sei dank habe ich aufgepasst und keine der Bibeln gekauft, die er mir andrehen wollte. Ich habe sozusagen Safer Religion praktiziert.«

Zurück in meiner Wohnung habe ich die Bibel aus der vorderen Reihe des Bücherregals genommen und nach hinten gestellt. Man weiß ja nie, es kommen ja manchmal auch Menschen mit kleinen Kindern zu Besuch.

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