Auf der Flucht vor dem Vater und der Religion

Tweets, Anwälte und Barrikaden in Bangkok: 18-jährige Saudi-Araberin wird vorerst nicht rückgeführt

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 4 Min.

Im internationalen Flughafen von Bangkok spielte sich von Sonntag auf Montag ein Drama ab, das ohne die schockierende Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi im vergangenen Jahr wohl ignoriert worden wäre. Die 18-jährige Saudi-Araberin Rahaf Mohammed al-Qunun war bei einem Zwischenstopp in Bangkok von kuwaitischen und saudi-arabischen Beamten der Pass abgenommen und sie so an der Weiterreise nach Australien gehindert worden. Dies, obschon sie nach eigenen Angaben ein australisches Visum besaß. Ihr männlicher Vormund habe sie gemeldet, sagte Rahaf. Sie sei »ohne Erlaubnis gereist« und ihr Vater sage, sie sei »psychisch krank«.

Rahaf verbarrikadierte sich in einem Hotelzimmer beim Suvarnabhumi-Flughafen und berichtete live auf Twitter, wie man sie gegen ihren Willen in einen Flug zurück nach Kuwait zu zwingen versuche. Dann schaltete sich auf Twitter auch der deutsche Botschafter in Thailand Georg Schmidt ein: »Wir teilen die große Sorge um Rahaf Mohammed und stehen dazu in Verbindung mit der thailändischen Seite und den Botschaften der Länder, an die sie sich gewandt hatte.«

Vor der forcierten Deportation postete Rahaf noch ein Video auf YouTube und sagte: »Auf Grundlage des Übereinkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 beantrage ich, Rahaf Mohmmed, offiziell den Flüchtlingsstatus in einem Land, das mich davor schützen würde, verletzt oder getötet zu werden, weil ich meine Religion und Folter durch meine Familie verlassen habe.«

Thailand bestätigte, die junge Frau sei nicht mit dem geplanten Flug abgeschoben worden. Zumal sie inzwischen Asyl beantragt habe, müsse sie »warten, bis diese Länder antworten«, so Surachate Hakparn, Chef von Thailands Einwanderungsbehörde.

Inzwischen wurden auch Anwälte in Bangkok aktiv. Die Frau sei illegal im Transitbereich vom Bangkoker Flughafen festgehalten worden. Polizei umstellte das Hotel, in dem sich Rahaf verbarrikadiert hatte, und wies auch UN-Vertreter zurück. Gegen Abend erhielten Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Zutritt.

Die junge Saudi-Araberin war vor ihrer Familie geflohen. Sie habe sich vom Islam abgewandt, sie fürchte eine Zwangshochzeit und ihre Familie foltere sie. Ein halbes Jahr sei sie in ein Zimmer gesperrt worden, nachdem sie sich das Haar geschnitten habe. Sie wolle studieren und arbeiten, in Saudi-Arabien sei dies für sie nicht möglich. »Ich bin 100-prozentig sicher, dass sie mich töten werden, sobald ich aus dem saudischen Gefängnis komme«, sagte sie und fügte hinzu, dass sie »Angst« habe und »Hoffnung verliert«.

Der Hashtag SaveRahaf ging um die Welt. Sie habe nichts mehr zu verlieren, sagte Rahaf. Sie stellte ihren Namen und eine Kopie ihres Passes online, dann flehte sie Menschen im Flughafen an, ihr zu helfen. Thailändische Behörden ließen die Beamten aus Kuwait und Saudi Arabien zunächst jedoch gewähren. Surachate, Chef der Einwanderungsbehörde, erklärte trocken, es handele sich um ein »Familienproblem« und der Teenager habe »keine weiteren Dokumente wie ein Rückflugticket oder Geld«. Vor der Presse sagte Surachate später, Rahaf werde nicht gegen ihren Willen abgeschoben.

Wie beim Fall Khashoggi verstrickten sich die saudischen Behörden dabei in Lügen, zum Beispiel, dass Rahaf den Pass noch immer besitze, zitierte die BBC die saudische Botschaft in Bangkok. Dabei postete Rahaf die Visitenkarte von einem Sicherheitsbeamten von Kuwait Airways, der ihr unter dem Vorwand, ein Visum zu besorgen, den Pass abgenommen habe. Phil Robertson, Vizedirektor von Human Rights Watch (HRW) Asia, sagte der BBC: »Es scheint, dass die thailändische Regierung eine Geschichte konstruiert, wonach sie versucht habe, ein Visum zu beantragen, und es ihr verweigert wurde. Tatsächlich hatte sie einen Weiterflug nach Australien, sie wollte überhaupt nicht nach Thailand einreisen.«

Robertson warf Thailand vor, mit Saudi-Arabien kollaboriert zu haben, da saudische Beamte in der Lage waren, gleich nach der Landung in die Maschine der Kuwait Airways einzusteigen und Rahaf abzufangen. Robertson sagte, dass angesichts der vielen Fälle von »Ehrengewalt, bei denen Saudi Arabien in die andere Richtung schaut, kann (Rahafs) Sorge, dass sie bei einer Rückkehr getötet werden könnte, nicht ignoriert werden.«

Rahafs Geschichte wirft ein Schlaglicht auf das Leben und die Rechte von Frauen in unterdrückten arabischen Gesellschaften, wo Frauen Menschen zweiter Klasse bleiben. Insbesondere Saudi-Arabien gibt Reformen vor, doch ob der Fall Khashoggi oder anders gelagert der Fall Rahaf belegen das nach wie vor willkürliche Vorgehen gegen Abweichler.

Am Abend bestäigte der Chef der thailändischen Einwanderungsbehörde, Surachate Hakparn, dass die junge saudische Frau zur Beurteilung ihres Asylantrags durch die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR vorübergehend nach Thailand einreisen darf. Der Prozess soll mindestens fünf bis sieben Tage dauern.
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