nd-aktuell.de / 05.08.2019 / Berlin / Seite 9

Die Klimaschraube anziehen

Die Grünen-Fraktion will Berlin in nicht weniger als 15 Jahren klimaneutral machen

Nicolas Šustr, Prag

»Ich will vom Fernsehturm auf glitzernde Dächer heruntergucken«, sagt Silke Gebel, Chefin der Abgeordnetenhausfraktion der Grünen bei der Sommerklausur in der tschechischen Hauptstadt Prag. Glitzern sollen Solarzellen und Sonnenkollektoren, denn »wir sehen den Klimanotstand«, wie Gebel erklärt. Eigentlich müssten die Klimaziele - eine 85-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen des Basisjahrs 1990 schon 2035, statt wie bisher angepeilt, erst 2050 erreicht werden, um die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, heißt es in dem Beschlusspapier der Fraktion. Zudem müssten es wohl eher 95 oder gar 100 Prozent Reduktion sein, glauben die Abgeordneten der Ökopartei.

Erreicht werden soll das Ziel unter anderem mit einem Erneuerbare-Wärme-Gesetz nach dem Vorbild Baden-Württembergs, das bei Erneuerungen von Heizungsanlagen einen Anteil klimaneutraler Wärmequellen vorschreibt. Es gibt zahlreiche Fallstricke bei der Umsetzung, wie eine Evaluation des bereits einmal novellierten Gesetzes des südwestlichen Bundeslands zeigt. Veit Bürger vom Öko-Institut Freiburg berichtet bei der Klausur, dass er über die Jahre einen »schleichenden Tod der Solarthermie« beobachten musste, weil sie im Vergleich zu anderen im Gesetz eingeräumten Möglichkeiten »immer unattraktiver« werde.

Generell müsse die energetische Sanierungsrate von Gebäuden von derzeit 0,9 Prozent des Bestands pro Jahr auf rund 2,6 Prozent erhöht werden, heißt es bei der Grünen-Fraktion. »Die soziale Frage bei der energetischen Sanierung ist nach wie vor noch nicht beantwortet«, sagt Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger. »Klar ist, über den Mietendeckel werden wir die Sanierungsrate nicht erhöhen«, räumt sie ein und fordert höhere Subventionen dafür.

Ihr Baukollege Andreas Otto ist prinzipiell bei ihr, rechnet allerdings vor, dass bei 50 000 Wohnungen, die das jährlich beträfe, eine halbe Milliarde Euro Haushaltsmittel pro Jahr aufgebracht werden müssten, um eher niedrig angesetzte 10 000 Euro pro Wohnung Förderung zu geben. »Die vermeintlich simple Frage ›wer bezahlt?‹ stellt sich insgesamt«, räumt der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Daniel Wesener, ein. In dieser Frage ist also noch ein Weg zu gehen, bis das von Ko-Fraktionschefin Antje Kapek ausgegebene Motto, die Vorschläge der Grünen müssten »radikal und möglich« sein auch umgesetzt werden kann.

Vergleichsweise unproblematischer scheint da die geforderte Solarpflicht für Neubauten zu sein, also Photovoltaik oder Solarthermie. Beim Verkehr soll das Gebiet innerhalb des S-Bahnrings bis 2030 zur Nullemissionszone werden, Fahrzeuge, die mit fossilen Treibstoffen fahren, ausgesperrt werden. Umwelt-, Verkehrs- und Klimasenatorin Regine Günther (Grüne) zeigt, dass sie bei letzterem Thema richtig brennen kann. »Wenn wir so weitermachen reden wir nicht über 1,5 oder 2 Grad Erwärmung«, sagt sie und warnt vor den Folgen. Die Überflutung ganzer Landstriche, Wassermangel und Hunger bedrohten Milliarden Menschen, zeigt sie in einer selbst gemachten Präsentation. »Der Vorgeschmack für Berlin ist der Sommer 2018, aber da endet es nicht. Es kann auch 43, 48 oder 53 Grad heiß werden«, erklärt sie am Freitagnachmittag, während die Hauptstadt gerade erneut von Starkregen heimgesucht wird. »Wir haben bei vielen Dingen den Hebel umgelegt«, sagt sie für ihr Ressort. Doch gerade auf den Straßen ist bisher kaum etwas angekommen, bis jetzt wurden vor allem die Rahmenbedingungen angepasst.

Lesen sie auch: Schwieriges Mammutprojekt. Nicolas Šustr zweifelt an der Umsetzbarkeit der Klimapläne[1]

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop recycelt umweltfreundlich die Folien ihrer Halbzeitbilanz und verweist auf die durch Rot-Rot-Grün »entfesselten« Stadtwerke, die beim Thema Solarzellen schon ein bedeutender Player in Berlin geworden sind. Pop muss sich von Realos Kritik dafür gefallen lassen, dass sie mit der Solarpflicht für Neubauten in den Medien vorgeprescht ist. Sie erklärt auf Nachfrage, ob es dazu Vorarbeiten in ihrer Verwaltung gab, dass sie ja gar nicht dafür zuständig sei.

Auf der ansonsten konfliktfrei wirkenden Klausur blitzt für einen Moment auf, dass die Lager sich langsam für den 2021 anstehenden Wahlkampf und die Spitzenkandidatenfrage warmlaufen. Doch zunächst werden sie die Kräfte darauf konzentrieren, möglichst viel von den Klimazielen in der Koalition durchzusetzen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1123841.klimaplaene-der-berliner-gruenen-schwieriges-mammutprojekt.html