Man muss es den Menschen sagen: Wenn ihr die AfD gewählt habt, dann wählt ihr Nazis. Nein, diese Weisheit kommt nicht von mir. Das meint die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler – und so sagte sie es einige Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Es hat offenbar nichts bewirkt. In den Netzwerken erntete Birthler dann auch rege Kritik. Man unterstellte ihr unter anderem, sie sorge mit solchen Vereinfachungen indirekt für noch mehr Kreuze auf dem Wahlzettel bei der AfD.
Eventuell ist an der These etwas dran. Auch ich habe diese Einschätzung der ehemaligen inoffiziellen Namensgeberin der Stasi-Unterlagen-Behörde für populistisch gehalten. Erst einige Tage zuvor hatte ich einen Text zum Thema Hitler- und Nazivergleich[1] geschrieben. Ich verwies darin auf das Buch des Journalisten Daniel Erk. Der hatte jahrelang bei der »taz« den »Hitlerblog« betrieben und 2012 ein Buch zum Thema verfasst: »So viel Hitler war selten«. Birthlers Spruch, der im Grunde eine Art Nazi-Vergleich war, folgte nur wenige Tage nach meinen Ausführungen zum Thema. Sie zählt offenbar nicht zu meiner Leserschaft.
Erk hatte sein Buch noch vor der »AfD-Invasion« geschrieben. Schon damals haderte er mit der Leichtigkeit, mit der man zuweilen Vergleiche mit Hitler und den Nationalsozialismus bemüht. Nicht, dass er prüde damit umgegangen wäre, manche Rückgriffe fand er sogar gut. So attestierte er zum Beispiel Harald Schmidt, mit den Stilmitteln der Koketterie über Hitler und Nazis, die zuweilen ritualisierte Erinnerungskultur des populärwissenschaftlichen Historikers Guido Knopp ausgezeichnet persifliert zu haben. Die meisten Vergleiche aber, die man sonst zu Ohren bekam, seien aber abgeschmackt und teils sehr vereinfachend, urteilte der Autor.
Erk legt in seinem Buch außerdem dar, dass die Begriffe »Hitler« und »Nazis« im Diskurs popkulturell umgewandelt wurden. Ganz nach dem Motto: »Wie Hitler – nur noch schlimmer!« Man hat die Begriffe zu Abziehbildern verwandelt, zu Ausdrücken des Bösen. Hitler fungiert quasi neben Beelzebub, Satan und Luzifer als erweiterter Teufelsbegriff. Und der Nazi sei nun gewissermaßen der pedantische Nachbar, der fiese Kollege und der laut telefonierende Egomane aus der Bahn - also letztlich jeder, der mir den Tag versaut.
Letzteres kann man nur schwer entkräften. Der Begriff des Nazis hat eine massive Erweiterung erlebt. Im US-amerikanischen Wortschatz wird er seit Jahrzehnten als die Umschreibung eines despotischen, fanatischen, ja cholerischen und antipathischen Ekels gebraucht. Der aggressive Suppen-Nazi aus der Sitcom »Seinfeld« lässt grüßen. Bei uns in Deutschland gehen wir zwar weniger offen mit dem Wort um, aber zuweilen nutzen wir es ähnlich. Als der Rapper Jan Delay vor Jahren Heino als Nazi abtat, war das so ein Beispiel. Über den Volksmusiker kann man viel Kritik, Häme und Verärgerung ausschütten – für einen wirklichen Nazi reicht es aber kaum.
Das liegt auch daran, dass »der Nazi« an sich ein historischer Begriff ist. Er ist einer, der in einer bestimmten Epoche unserer Geschichte vorkam. Danach gab es schlechterdings nur noch Abklatsche, die wir mit dem Präfix Neo- kenntlich machen. Dass man das Andenken an die Verbrechen der historischen Nazis schmälert, indem alles inflationär nazifiziert wird, muss man an dieser Stelle nicht ausdrücklich betonen. Die Einzigartigkeit der Mordmaschinerie und der Skrupellosigkeit wird jedoch genau mit diesem flapsigen Sprachgebrauch in Abrede gestellt.
Deshalb halte ich Marianne Birthlers Nazi-Vergleich für fehl am Platz. Der AfD kann man allerlei an den Kopf werfen. Rassisten gibt es dort nicht wenige, Völkische auch, Spinner sowieso. Aber Nazis? Das stimmt im historischen Kontext einfach nicht. Geschichte wiederholt sich nicht. Noch nicht einmal als Farce. Insofern haben nicht die Nazis in Sachsen und Brandenburg zugelegt, sondern einfach nur schlechte, unsympathische und bösartige Menschen. Politisch organisierte Arschlöcher vielleicht? Dem widerspreche ich nicht.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125319.afd-rassisten-voelkische-spinner-aber-keine-nazis.html