»Wir töten dich!«

David Janzen wird von Rechtsextremen bedroht. Am vergangenen Wochenende demonstrierten sie gegen ihn.

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 7 Min.

Dieser Neonazi-Aufmarsch ist ungewöhnlich. Nicht wegen der Teilnehmer. An diesem Samstag im November sind die üblichen Gesichter in der Hannoveraner Südstadt zu sehen. Ungewöhnlich ist auch nicht, dass David Janzen und André Aden am Rand stehen, inmitten einiger Polizisten. Janzen und Aden sind Fotojournalisten, sie dokumentieren regelmäßig Neonazi-Aufmärsche. Janzen schreibt für den »Zeit«-Blog »Störungsmelder«, hat Fotos und Videos an den öffentlich-rechtlichen NDR verkauft. Er ist außerdem Sprecher des Braunschweiger »Bündnis gegen Rechts«. Aden fotografiert für »Recherche Nord«, ein Medienprojekt zu militantem Neonazismus.

Ungewöhnlich ist aber der Anlass der Demonstration, genauso wie der große Medienandrang und das Filmteam, das vor Janzen steht, die Kamera auf ihn gerichtet. Und die 7000 Menschen, die sich ein paar Kilometer weiter zu einer Gegendemonstration unter dem Motto »Bunt statt braun« versammelt haben, darunter der neue Oberbürgermeister von Hannover Belit Onay (Grüne) und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil sowie Innenminister Boris Pistorius (beide SPD).

Die NPD und die Partei »Die Rechte« aus Hannover demonstrieren gegen Journalisten. »Schluss mit steuerfinanzierter Hetze! Feldmann in die Schranken weisen«, lautet das Motto. Das Gesicht von Julian Feldmann, wie Janzen und Aden ein freier Journalist und Experte für das Thema Rechtsextremismus, ist auf einige der Plakate gedruckt, die die Neonazis mit sich tragen. Feldmann arbeitet unter anderem für den NDR. Die NPD Hannover verleumdet die drei Journalisten in verschiedenen Aufrufen zu der Demonstration als »Linksextremisten«, die »eine Bühne oder sogar Aufträge vom öffentlichen Rundfunk« bekämen. In späteren Aufrufen hetzt sie gegen weitere Journalisten und andere Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Auf Kundgebungen von Pegida in Dresden bis zum Heß-Marsch in Berlin schallen regelmäßig »Lügenpresse«-Rufe. Eine Demonstration explizit gegen Journalisten aber ist neu. Das veranlasste einige Pressevertreter dann auch dazu, eine Woche vor der Demonstration die Politik aufzufordern: »Schützt die Pressefreiheit«. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten den Aufruf mehr als 450 Publizisten, darunter auch der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann. Bis zur Demonstration am 23. November waren rund 750 Unterschriften zusammengekommen, dazu unterzeichneten ihn mehrere Journalistenverbände, Gewerkschaften und Redaktionen. Acht Gegen-Demonstrationen wurden für den Tag des rechtsextremen Aufmarsches angemeldet. Die Polizei verbot die NPD-Demonstration am 21. November wegen »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit«. Das Verbot wurde gerichtlich gekippt, in erster und zweiter Instanz. Die Nazis durften marschieren. Dafür gab es viel Kritik. Viele waren der Ansicht: Meinungsfreiheit muss natürlich geschützt werden, Hass und Hetze - zumal gegen Einzelpersonen - nicht.

»Strukturen am Boden«

David Janzen steht am Rand, während sich die Teilnehmer der NPD-Demonstration am Ausgang des Bahnhofs Bismarckstraße aufstellen. Er kennt »jeden Einzelnen« der rund 100 Demo-Teilnehmer. Dass sie aus der ganzen Region und sogar von weiter entfernt angereist sind, ist für ihn ein Zeichen, dass hier »die Strukturen am Boden« liegen. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, die Gerichte hätten das Verbot des Aufmarsches bestätigt. Er hat Erfahrung mit rechten Drohungen. Aber selbst Gegenstand einer Demonstration war er bis heute nicht. »Wenn die mal was anderes machen als demonstrieren …«, sagt er und lässt den Satz unvollständig stehen.

Unberechtigt ist seine Sorge nicht. Im Juni, nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke, taucht ein Video eines Mitglieds der Braunschweiger Neonazi-Gruppe »Adrenalin Braunschweig« auf. Grinsend trägt Lasse R. darin seine »Anteilnahme für die Angehörigen« vor, sodass kein Zweifel daran bleibt, wie wenig ernst er dies meint. In einem anderen Video sagt R. diesen Satz: »Heute Walter, morgen Janzen.« Der kommentiert in einer Dokumentation von ARD-Panorama: »Das muss man sehr ernst nehmen, ohne sich dabei Angst einjagen zu lassen.«

Nur eine Woche später will der Sprecher vom Braunschweiger »Bündnis gegen Rechts« gerade sein Haus verlassen, als er eine Kritzelei auf der Eingangstür sieht und einen Aufkleber von »Adrenalin Braunschweig«. Im »Störungsmelder« schreibt er Monate darauf, den Aufkleber habe er sofort erkannt. Den Schriftzug nahm er erst danach wahr. Der war eindeutig. »Wir töten dich! Janzen« stand dort.

Seit 30 Jahren engagiert sich der Braunschweiger gegen Neonazis, als Jugendlicher in antifaschistischen Gruppen, später als Journalist und beim »Bündnis gegen Rechts«. Er kennt die aktiven Neonazis, und sie kennen ihn. Auf ihren Demonstrationen, die der Fotojournalist begleitet und dokumentiert, kündigen sie an, »mal zum Kaffee« bei ihm zu Hause vorbeizukommen. Ein harmloser Satz - oder eine Drohung. Sie kennen die Straße, in der er wohnt, das Nummernschild seines Autos, behaupten, ihn mit seinem Kind im Supermarkt gesehen zu haben.

Doch nun drohen sie ihm zum ersten Mal offen an seiner Haustür. Woher sie wussten, wo er wohnt? Er war ein oder zwei Jahre zuvor angezeigt worden, erzählt er. Über die Akten seien sie an seine Adresse gekommen. Der »absurde« Vorwurf gegen ihn wurde fallen gelassen: Er sollte zehn Nazis verprügelt haben. Janzen lacht. Er ist groß, alles andere als schmächtig, aber dass er alleine zehn Männer verprügelt, das ist kaum vorstellbar.

Polizei reagiert mit Verzögerung

Es brauchte etwas öffentlichen Druck, bis die Polizei die Drohung ernst nahm, erzählt Janzen. Dann bemerkte er, dass ständig Polizei vor seiner Tür stand. Erst ein paar Tage später wurde er darüber informiert, dass sein Haus rund um die Uhr unter Beobachtung stand. Er hätte sich mehr Informationen gewünscht, Hinweise, wie er sich verhalten solle, zum Beispiel. Doch die gab es nicht. Und nach etwa eineinhalb Wochen sah er auch keine Polizei mehr vor seinem Haus.

Einige Monate später. Rote Spritzer verteilen sich über Janzens Haustür und einen Teil des Gehwegs vor dem Haus. Es sieht ein bisschen aus wie Filmszenen von Orten, an denen gerade ein Massaker stattgefunden hat. Das Rote stellt sich als Ketchup heraus. Die nach Essig riechende Flüssigkeit in seinem Briefkasten als Essigsäure. Sie kann die Haut verätzen. Für Janzen ist es kein Zufall, dass am gleichen Tag der Aufruf für die NPD-Demonstration am 23. November veröffentlicht wird, die sich gegen ihn, Aden und Feldmann richtet.

Am Tag der Demonstration wird der Fotojournalist von einem Kamerateam begleitet. Er lässt sich interviewen, beobachtet dabei aber ununterbrochen die kleine Gruppe Neonazis, die sich hinter einer Reihe von Polizisten und ihrem Lautsprecherwagen gesammelt haben. Janzen geht näher ran, nimmt seinen Fotoapparat und richtet ihn auf die Teilnehmer. Einer von ihnen, der trotz grauen Himmels eine schwarze Sonnenbrille trägt und die ebenso schwarze Mütze tief ins Gesicht gezogen hat, streckt ihm abwehrend die Hand entgegen. Ein anderer hält ihm demonstrativ sein Handy vor die Nase: Wenn du mich filmst, filme ich dich auch. »Die Schmierenpresse hält bitte gebührenden Abstand«, ruft einer. Jemand greift in die Kamera. »Janzen«, sagt eine Stimme, »das ist unsere Veranstaltung.« Sie drängen ihn zurück, es wirkt bedrohlich. Irgendwann greift die Polizei ein. Ziemlich spät, findet Janzen, wie so häufig. Auch das Verhalten der Neonazis kennt er schon. Griffe in die Kamera, ohne sie runterzuwerfen, gerade noch im Bereich der Straflosigkeit. »So was passiert häufig.«

Kurz darauf macht sich Janzen auf den Weg zur Demonstration »Bund statt braun«; er wird dort als Redner erwartet. Unterwegs kommt ihm eine Gruppe schwarz gekleideter Jugendlicher entgegen, schnellen Schrittes auf dem Weg zur Demonstrationsstrecke der Neonazis, bereit, sie zu blockieren. Einige schauen sich nach Janzen um, blicken ihm hinterher. Wie er sich fühle, so als Promi? »Das ist eher unangenehm.«

Bei seiner Ansprache auf dem Aegidientorplatz wenig später bedankt er sich bei allen, die ihm in der letzten Zeit den Rücken gestärkt, und bei denen, die den Aufruf zum Schutz der Pressefreiheit unterschrieben haben. Doch fordert er: »Solidarität muss es auch mit jenen geben, die weniger Kontakte in Politik und Presse haben.«

Am Dienstag verkündet die »Braunschweiger Zeitung« das Ergebnis ihrer Leserumfrage zum »Braunschweiger des Jahres«. Auch David Janzen stand zur Wahl. Er kommt auf den zweiten Platz. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schreibt er: »Danke, dass mir soviel Menschen ihre Stimme gegeben haben! Für den 1. Platz hat es zwar nicht ganz gereicht, aber Vize-›Braunschweiger des Jahres‹ ist doch auch nicht schlecht.« In einem zweiten Tweet schiebt er hinterher: »Und für mich wurde zum ›Braunschweiger des Jahres‹ sowieso der kleine Schreihals, der gestern auf die Welt gekommen ist.« Janzen ist Vater geworden.

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