»Das macht die Menschen wütend«

Pädagoge und Dozent Burak Yilmaz über die Polizeiausbildung in Deutschland und rassistische Kontrollen, wie er sie selbst häufig erlebt hat

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Yilmaz, weltweit und auch hierzulande haben Zehntausende anlässlich der brutalen Ermordung des schwarzen Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten demonstriert. Kann so etwas auch in Deutschland passieren?
Prinzipiell ja. Wir hatten in der Vergangenheit auch hier Fälle im Umgang mit schwarzen Menschen, die immer noch Fragen aufwerfen. Oder denken Sie nur an den Umgang der Ermittlungsbehörden mit der Mordserie des NSU. Allerdings ist die Häufigkeit in den USA nochmal anders. Die Zahl von Schwarzen, die von der Polizei getötet werden, liegt dort pro Jahr in einem dreistelligen Bereich. Die exzessive Gewalt, die zum Tod George Floyds führte und die auch noch öffentlich sichtbar war, ist eher typisch für die USA als für uns in Deutschland. Damit solche Fälle hier nicht stattfinden, müssen wir aber stärker anfangen präventiv zu denken.

Was unterscheidet die deutsche von der US-Polizei?

Burak Yilmaz
Burak Yilmaz ist Pädagoge, leitet das Duisburger Projekt »Heroes« mit migrantischen Jugendlichen und lehrte dort an einer Polizeihochschule. Thomas Gesterkamp sprach mit ihm über alltäglichen Rassismus, über die Unterschiede zwischen deutscher und US-amerikanischer Polizei und die manchmal schwierige Verständigung zwischen schwarzen und muslimischen Deutschen. 

Polizisten in Deutschland werden länger und intensiver ausgebildet. Die Voraussetzungen für diesen Beruf sind deutlich anspruchsvoller als in den Vereinigten Staaten. Dort dauert die polizeiliche Ausbildung im Durchschnitt nur 16 Wochen, bei uns sind es mindestens drei Jahre. Des Weiteren ist der Schusswaffengebrauch hierzulande nur der allerletzte Lösungsweg. In den USA liegt die Ermessensentscheidung bei den Polizeibeamten. Sobald sie sich bedroht fühlen, dürfen sie schießen. Das lässt leider einen sehr großen Spielraum zu.

Sie haben selbst Erfahrungen mit Rassismus gesammelt, etwa bei einer »Stichprobenkontrolle« auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Dort waren Sie weit und breit der einzige, von dem die Polizei den Personalausweis sehen wollte.

Ja, ich habe dann nachgefragt, warum gerade ich kontrolliert werde. Als der Beamte meinen Ausweis in der Hand hielt und wissen wollte, ob ich schon mal etwas mit der Polizei zu tun hatte, war das für mich ein Indiz, dass man mich aufgrund von Äußerlichkeiten überprüft hat. Ich habe ihm geantwortet, dass ich jede Woche mit der Polizei zu tun hätte, weil ich Dozent an der Polizeihochschule in Duisburg sei.

Konnten Sie den beteiligten Beamten damit verblüffen?

Die Kontrolle war danach schlagartig vorbei. Diese Erfahrung habe ich nicht das erste Mal gemacht. Als Jugendlicher war ich bei solchen Kontrollen immer sehr nervös und aufgeregt. Vor allem, wenn ich im Auto angehalten wurde. Man möchte ja auch nicht verdächtig wirken. Inzwischen habe ich Überprüfungen dieser Art aber so oft erlebt, dass ich schon ziemlich ruhig und souverän reagiere. Es bringt mich nicht mehr aus der Fassung.

Ist der Umgang mit rassistischen Vorurteilen in der Polizeiausbildung ausreichend berücksichtigt?

Es ist gut, dass das Fach »Interkulturelle Kompetenzen« jetzt schon im ersten Semester unterrichtet wird. Das ist eine positive Veränderung auf struktureller Ebene. Nach meiner Erfahrung ist es ein Lernmodul, in dem kontrovers, aber respektvoll über Rassismus geredet wird. Man könnte das ausbauen und weitere Kurse oder Programme etablieren. Die Herausforderungen im polizeilichen Alltag werden die nächsten Jahre bestimmt nicht geringer. Jetzt schon präventiv darauf zu reagieren, könnte am Ende ein großer Gewinn für uns alle sein.

Kann »Racial Profiling« manchmal auch legitim sein – etwa bei der Bekämpfung von Clankriminalität oder Drogenhandel?

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Ich bin mit meinen Freunden (denen mit Migrationsgeschichte) schon sehr oft nach Drogen oder Schusswaffen durchsucht worden. Jedes Mal wurde nichts gefunden. Ich habe mich immer gefragt, was die Polizei von solchen Kontrollen hat. Außer, dass wir uns irgendwann nicht mehr mit ihr identifizieren wollten. Man darf nicht unterschätzen, wie sich das für uns anfühlt: nämlich so, als seien wir aufgrund unserer Herkunft per se kriminell. Oft kam mir in solchen Momenten der Wunsch in den Sinn, doch einfach nur »weiß« zu sein, denn meine Freunde ohne Migrationsgeschichte kennen diese Erfahrungen nicht. Wenn die Polizei zum Beispiel Leute beim Grenzübertritt von den Niederlanden nach Deutschland kontrollieren will, dann doch bitte alle und nicht nur die, die ins Klischee passen.

Nach dem Tod von George Floyd gab es mancherorts Kontroversen unter den Protestlern. Bei einer Demonstration in Berlin zum Beispiel beanspruchten schwarze Aktivist*innen das alleinige Rederecht auf der Bühne. Muslime mit Wurzeln im Nahen Osten sollten nicht exponiert zu Wort kommen, erst recht keine weißen Biodeutschen. Wie beurteilen Sie das?

Ich kann das Bedürfnis der schwarzen Community sehr gut verstehen, dass sie sich eigene Räume und Bühnen schaffen wollen. Viel zu selten lässt man sie in der Öffentlichkeit zu Wort kommen. Wenn in einer deutschen Talkshow über Rassismus im Umgang mit Schwarzen diskutiert wird, aber dort keine einzige afrodeutsche Person sitzt, dann muss das sehr frustrierend sein. Das macht die Menschen wütend. Ich wünsche mir, dass gerade solche brisanten Themen, die uns alle betreffen, als gemeinsame Aufgabe begriffen werden. Alle müssen mit am Tisch sitzen, weil es letztendlich um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft geht.

Was schlagen Sie vor, um die Sensibilität für das Thema Rassismus in der Polizeiarbeit zu schärfen?

Oft gibt es intern die Befürchtung, eine Auseinandersetzung mit Rassismus könnte imageschädigend sein. Ich finde dies falsch, denn sich damit zu konfrontieren bedeutet, dass man sich einer gesellschaftlichen Herausforderung stellt und Verantwortung übernimmt. Rassismus und Antisemitismus sollten daher im Lehrplan als Kernthemen verankert werden. Nicht nur in der Ausbildung, sondern auch später als Angebot im Dienst. Es muss verhindert werden, dass Polizisten und Polizistinnen mit Minderheiten nur dann in Kontakt kommen, wenn es um Kriminalität geht. Denn das führt schnell zu Pauschalurteilen. Eine kritische Polizeiarbeit muss diesen Prozess immer wieder durchbrechen, sie muss ständig Selbstreflexion betreiben. Vor allem aber brauchen wir mehr Vorbilder innerhalb der Polizei. Nicht nur Vorbilder mit Migrationsgeschichte, sondern auch Vorbilder aus der Mehrheitsgesellschaft, die mit einer starken inneren Haltung gegen Rassismus einstehen. Das schafft Vertrauen und Identifikation.

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