Klimaaktivist*innen blockieren Vattenfall in Berlin

Blockade ist Teil der bundesweiten Aktionstage / Aktionen unter anderem auch in Mannheim, Greifswald und im Rheinland

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ein bisschen Angst ist immer dabei«, sagt Linn. Die junge Aktivistin hat ein Tuch um ihren Mund gebunden, an den Händen trägt sie Handschuhe mit kleinen Ketten, um sich später besser an dem Kraftwerk fixieren zu können. »Aber im Vergleich zu der Bedrohung, die der globale Klimawandel auf mich und die Menschen in den Abbaugebieten ausübt, ist die Angst vor diesem Kraftwerk quasi nicht vorhanden«, erklärt die 21-Jährige im Gespräch mit »nd«. Dann verschwindet sie zusammen mit etwa fünfzehn weiteren jungen Aktivist*innen in einem dunklen Park.

Aufstand mit Abstand - Kohlekraftwerk in Berlin besetzt

Es ist gegen 4.30 Uhr am Samstagmorgen – am Himmel ist kaum mehr ein Stern zu sehen, als die Gruppe schließlich die Brücke am Torfstraßensteg in Berlin-Moabit überquert. Dann geht plötzlich alles ganz schnell: Eine Leiter wird an die Backsteinmauer gelehnt – die Aktivist*innen klettern drüber und innerhalb weniger Minuten auf die Kohlebagger, Kräne und Türme des Kraftwerks auf der anderen Seite. Betreiber der Anlage am Friedrich-Krause-Ufer ist der schwedische Energiekonzern Vattenfall. Seit 2013 wird hier auch Biomasse verfeuert – neben Steinkohle. Die nennen die Aktivist*innen auch »Blutkohle«, denn die Abbaubedingungen seien vor allem für indigene Gemeinschaften entsetzlich: Die in Deutschland verfeuerte Steinkohle komme aus Regionen wie dem Kusbass in Sibirien und La Guajira in Kolumbien – Orte, an denen Menschen gute Entwürfe von Gemeinschaft hätten und wenig zum globalen Klimawandel beitragen würden. »Und trotzdem sind sie enorm von dieser Umweltzerstörung betroffen. Sie werden vertrieben, das Grundwasser wird kontaminiert, so dass sie vergiftet werden, wenn sie es trinken«, erklärt Linn. Die Gruppe wolle sich deshalb solidarisch zeigen und »das Kraftwerk in Berlin zum Stillstand bringen«.

Die Blockade ist Teil der bundesweiten Aktionstage »Aufstand mit Abstand – Klima retten, Kapitalismus überwinden«, die am Wochenende in über 15 deutschen Städten stattfanden. Weil viele Großaktionen und Klimacamps wegen der Pandemie im Sommer abgesagt werden mussten, hatte das Bündnis »Zucker im Tank« die Aktionstage als Corona-kompatiblen Klimaaktivismus in Kleingruppen ausgerufen. Beteiligt waren etwa Ortsgruppen von Fridays for Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion sowie lokale Antifa-Initiativen.

Zum Auftakt hatten am Freitagmorgen ab 6 Uhr etwa 60 Menschen die Shell-Raffinerie in Wesseling im Rheinland blockiert. Weil der Konzern immer wieder Umweltskandale verursacht, forderten die Aktivist*innen der Gruppe »No (S)hell on Earth«, dass das Unternehmen »ein für alle Mal geschlossen wird«. Mehrere Menschen hatten sich an Betonfässer gekettet oder waren auf sechs Meter hohe Dreibeine geklettert, um so die Zufahrtsstraßen zur Raffinerie zu blockieren. Nach Angaben eines Shell-Sprechers stauten sich daraufhin mehrere Tanklastwagen vor den Toren. Auch die Hafeneinfahrt wurde mit Kajaks blockiert, so dass sie stundenlang nicht passierbar war: Laut der Häfen und Güterverkehr Köln konnten vier bereits beladene Schiffe den Hafen nicht verlassen und mehrere Schiffe nicht einfahren. Den entstandenen finanziellen Schaden für das Unternehmen dürften die Aktivist*innen dabei bewusst forciert haben: »Mit den Aktionstagen wollen wir auf den Zusammenhang von Kapitalismus und Klimakrise hinweisen. Kapitalistisches Wirtschaften verursacht Krisen und verschärft bereits existierende Ungleichheit«, erklärte Mara Güthen, eine Mitorganisatorin der Aktionstage.

Für die Aktivist*innen ist der von der Bundesregierung beschlossene Kohleausstieg 2038 »viel zu spät«. Für sie steht fest: Klimagerechtigkeit kann nur mit einem Systemwandel erreicht werden. Auch in Mannheim blockierten Aktivist*innen deshalb in den frühen Samstagmorgenstunden ein Förderband des Steinkohle-Großkraftwerks, in Kiel wurde ein Wald besetzt, in Greifswald fand eine Aktionsralley statt.

In Berlin ist es beinahe hell, als die Aktivist*innen gegen fünf Uhr morgens auf einem Turm ein Transparent mit der Aufschrift: »Wer uns räumt, ist für Kohle!« anbringen. Wenig später ist die Polizei vor Ort, mehrere Beamte erklimmen daraufhin die Kräne und Bagger, gegen sechs Uhr treffen auch Mitarbeiter von Vattenfall ein. Der Konzern habe gleich am Morgen Strafanzeige gegen die Blockierer gestellt, berichten die Aktivist*innen später. Weil sie aber auch Lock-Ons verwendeten, konnte die Blockade bis Sonntagmorgen nicht geräumt werden.

Ob es nicht auch andere Wege gegeben hätte, ihren politischen Forderungen Ausdruck zu verleihen? »Unsere Stimmen wurden bisher nicht gehört, deshalb ist es wichtig, dass wir die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen«, meint Linn kämpferisch.

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