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Sprachwacht und Geschlechterkampf
Unvernunft versteckt sich gern, selbst hinter Vernunft: Marginalien zur gendergerechten Sprache
Sprache ist ein Mittel - auch politischer Kämpfe. Daher wird sie selbst zum Gegenstand von Kämpfen. Nichts Neues soweit. Nur was, wenn eine Partei leugnet, dass sie kämpft? Den Streit um eine geschlechtergerechte Alltagssprache durchgeistert etwas seltsam Verbogenes, und in dem Verbogenen steckt etwas Verborgenes.
Kritiker des »Genderwahns« treten nicht gern als Kritiker des Genderanspruchs auf. Sie ziehen vor, sich als Bewahrer der Sprache gegen gedankenlose Reformer zu gebärden. Folgt man ihrer Erzählung, tobt ein Kampf zwischen politischen Interessen und den Interessen der Sprache selbst. Es gibt so eine Weise, Unvernunft hinter Vernunft zu verstecken. Reine Vernunft nämlich kann nur in politisch indifferenten Disziplinen walten (Mathematik, Logik, mit Abstrichen Naturwissenschaften). Sprache, ja selbst Grammatik, fällt hierunter nicht. Gewiss, man findet in ihr Form und System, gleichwohl aber Konvention, Kontingenz, Geschichte und darin abgebildete gesellschaftliche Wirklichkeit. Jeder weiß das, doch offenbar muss man es wiederholen.
Die Pose des Sprachbewahrers ist ohne Idealismus (im miesesten Sinn des Wortes) nicht zu haben. Sie unterstellt, dass es eine reine, natürliche, mit sich selbst identische Sprache gebe. Sie blendet aus, dass sich Sprache durch Veränderung erhält, Grammatik durchaus ein System macht, aber ein immer dürftiges. Was wir heute in Lehrwerken abbilden, wurde mehrfach durch gewaltige Verwerfungen reformiert; es stehen uralte neben vergleichsweise jungen Formen, die in ihrem Ursprung nie aufeinander abgestimmt waren (so etwa im Tempussystem, wo teils veritable Zeitformen, teils Rückstände aus dem Aspektsystem zusammenwirken). Alle Sprachen haben etwas Kreolisches. Folglich kann es gar nicht darum gehen, ob sich eine Sprache ändert, sondern allenfalls darum, wie sie das tut.
Der materialistische Zugriff leugnet nicht das Normative, das durch die Form der Sprache gegeben ist. Er berücksichtigt nur zugleich den gesellschaftlichen Charakter der gebildeten Sprache. Wenn wir von geschlechtergerechter Sprache reden, meinen wir kaum je Eingriffe in den grammatischen Bau und selten mehr als bloß den Einsatz von Suffixen, hauptsächlich bei Berufsbezeichnungen. Gerade bei denen aber wird der politische Ursprung der historischen Sprachbildung besonders deutlich.
Unser Bild von der Arbeit ist maßgeblich eingefärbt durch patriarchale Frühzeiten. Die Berufsarbeit war der Bereich des Mannes, die Heimarbeit der der Frau. Deswegen dominiert das Maskulinum die Berufsbezeichnungen in einem Ausmaß, dass man länger bräuchte, auch bloß eine Handvoll femininer Berufsnamen zu finden. Wer sich vor diesem Hintergrund stellt, als komme erst mit der Vergenderung das Politische von außen in die Sprache, dem mangelt es nicht bloß an historischem Bewusstsein, er übersieht die psychologische Wirkung auf heranwachsende Mädchen, die ihren Traumberuf immer zuerst in der männlichen Flexion kennenlernen, als etwas also, das sie zunächst nichts angeht, in das sie sich erst hineinkämpfen müssen.
Natürlich gibt es Beispiele misslungener Vergenderung; sie werden von den Sprachwächtern genussvoll aufgezählt. Ein Ausdruck wie »Gästin« klingt bizarr, es müsste eigentlich »die Beamte« statt »die Beamtin« heißen, und irgendwann hat mal ein Tropf von Organisatorin auf einen Briefkopf »Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder« geschrieben. Grundsätzlich aber funktioniert das Verfahren und tut der Sprache nichts an. Manches irritiert Gewohnheit und Empfinden. Auch darin liegt ein Mitmotiv - im Unbehagen älterer Menschen, wenn Entwicklungen über sie hinweggehen und kommende Generationen sich um ihre Bedenken nicht scheren. Mithin im Gefühl von Männern, die den allmählichen Verlust ihrer Vorrechte als Benachteiligung wahrnehmen. Ohnmacht ist ein machtvoller Antrieb.
Dass es ihnen gar nicht gegen die organisierte Anpassung von Alltagssprache überhaupt geht, lässt sich leicht zeigen. Sie haben sich abgewöhnt, »Neger«, »Zigeuner«, »Krüppel«, »Hure« oder »Halbjude« zu sagen, und sicher hätten sie keine Schwierigkeiten, in einer sozialistischen Gesellschaft wieder »Arbeiter« anstelle des diffamierenden »Arbeitnehmer« zu benutzen. Doch auch innerhalb des Genderkomplexes baumeln ihre kategorischen Imperative. Nie etwa kämen sie auf die Idee, bei den wenigen weiblichen Berufsnamen die tradierte Form zu wahren, sobald mal ein Mann die betreffende Tätigkeit ausübt. Wie selbstverständlich nutzen sie Neologismen, sagen »Krankenpfleger« statt »männliche Krankenschwester«, »Geburtshelfer« statt »männliche Hebamme«.
Erst wo man die Übermacht maskuliner Marker durch feminine ergänzt (nicht austauscht), kriegen sie es mit der Angst. Wenn in einer von Jahrtausenden patriarchaler Kultur durchprägten Sprache wenigstens fleckenweise ein paar Kontrapunkte gesetzt werden, durch Endungen und Wendungen, die dem anderen Geschlecht oder den Abweichungen vom binären Muster etwas Achtung erweisen, fürchten sie um den Wort- und Formbestand der deutschen Sprache.
Mit Sorge blicken sie auf das generische Maskulinum, das (bei ihnen mehr Parole als Begriff) in Ermangelung einer separaten Form für Gattungsbestimmungen als Sprechgewohnheit tatsächlich weitgehend gelöst von biologischen Konditionen vor sich hin rotiert. Für ihre politischen Zwecke taugt es aber nur bedingt. Der Begriff meint zunächst bloß den Umstand, dass es bei den belebten Substantiven ein Übergewicht des männlichen Geschlechts gibt, dass somit, wenn es »der Sportler«, »der Hase« oder »der Arzt« heißt, nicht zwingend gleich ein männliches Exemplar gemeint war.
Manchmal ist die Unterscheidung unmissverständlich, manchmal nicht. Wenn ich etwa sage »Wer krank ist, sollte zum Arzt gehen«, ist das Maskulinum generisch, sage ich »Wenn ich krank bin, gehe ich zu meinem Arzt«, ist es das eindeutig nicht. Benutze ich aber den Satz »Wenn ich krank bin, gehe ich zum Arzt«, kann es das eine oder das andere sein. So sauber trennen, wie die Sprachwacht gern behauptet, lässt sich das alles kaum, auch im Plural nicht. Hier liegt ebenso ein Unterschied zwischen, sagen wir: »Ärzte retten Leben« und »die Ärzte taten, was sie konnten«.
Man müsste also auch innerhalb des generischen Maskulinums unterscheiden zwischen Aussagen, die sich streng auf die Gattung beziehen, und solchen, die bloß generisch scheinen, weil der Sprechende entschieden hat, dass das Geschlecht der Erwähnten jetzt keine Rolle spiele. Was natürlich sein Recht ist, aber eben das leistet das Gendersternchen auch, mit dem Unterschied, dass es diese Entscheidung sichtbar macht. Das generische Maskulinum im Singular wiederum ist gar nicht ersetzbar. Einen Satz wie »Wer krank ist, sollte zur Ärzt*in gehen« dürfte niemand sagen, es sei denn aus Ostentation. Der größte Teil der Gendereingriffe findet in den Pluralformen statt. Unsere besorgten Sprachzausel können ihre frisch rekrutierten Bürgerwehren also gern wieder auflösen.
Die Abbildung des dritten Geschlechts mittels Sternchen ist gewiss nicht vollkommen, mal ganz abgesehen davon, dass nicht mehr zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität unterschieden wird, oder von der dem Ausdruck »divers« innewohnenden Paradoxie, etwas zusammenzufassen, das sich gerade der Zusammenfassung entziehen möchte. Im Sternchen wird das mit sich selbst nicht identische dritte Geschlecht durch eine Sprechpause markiert. Man erwähnt es, indem man es nicht erwähnt. Andererseits zeigt gerade die Unvollkommenheit dieser Lösung, wie harmlos das alles bleibt. Dieses Sternchen macht keine grammatikalische Form. Es wird überhaupt nichts verändert am Bau der Sprache oder am Wortbestand, nur ein Zeichen mit neuer Bedeutung tritt hinzu. Ärzt*innen bedeutet nichts anderes als die Gesamtmenge aller Ärzte. Generischer wird’s nicht mehr.
Was dann noch übrig bleiben kann, sind ästhetische Vorbehalte. Aber die Schreibweise mittels Sternchen wird sich wahrscheinlich weder in der Hochsprache noch in der Alltagssprache richtig durchsetzen, für jene ist sie zu klinisch, für diese zu umständlich. So dürfte sie ganz bestimmten Sprech- und Schreibsituationen vorbehalten bleiben: Ansprachen ans Kollektiv, Rundbriefen, Gesetzestexten und ähnliches.
Und wenn etwa doch? Ja, was wäre denn dann? Wenn in fernerer Zukunft Gewohnheit solche Formeln als nicht mehr hässlich und nicht mehr umständlich empfinden ließe? Wer hätte dann einen Schmerz, wer einen Verlust? Wir, die wir dann nicht mehr leben? Oder unsere Nachgeborenen, die ihn nicht mehr fühlen? Ich bin mir sicher, dass die Ostgoten, wo immer sie gerade stecken, selten anders denn mit Wehmut auf uns schauen.
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