SPD-Arbeitminister setzt sich teilweise durch

Bund und Länder beschließen Regeln für mehr Homeoffice und Infektionsschutz am Arbeitsplatz

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Eins war Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sehr wichtig zu betonen: »Mir geht es jetzt nicht darum, Unternehmen zu quälen oder ständig zu kontrollieren«, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. Aber: »Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens müssen einen angemessenen Beitrag leisten, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.« Es ging um mehr Homeoffice.

Tags zuvor hatten Bund und Länder auf dem Coronagipfel nach langen Verhandlungen neue Regeln zum Thema Homeoffice und Infektionsschutz am Arbeitsplatz verabschiedet. Sie sollen im Rahmen einer Verordnung auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes vermutlich ab kommenden Mittwoch in Kraft treten und bis Mitte März gelten. Demnach soll es eine Pflicht für Unternehmen geben, ihren Beschäftigten das Arbeiten zu Hause zu ermöglichen, »wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen«. Laut Heil machen dies viele Betriebe schon »sehr vorbildlich«, doch sei noch »Luft nach oben«. So arbeiteten laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im November lediglich 14 Prozent aller Beschäftigten vorwiegend im Homeoffice.

Die Verordnung beinhaltet weitere Maßnahmen zum Infektionsschutz. So sind Unternehmen angehalten, ihren Beschäftigten medizinische Masken zur Verfügung zu stellen, wenn weder Homeoffice möglich noch Mindestabstände einhaltbar sind. Zudem soll sich laut Ministerium künftig nur maximal eine Person pro zehn Quadratmeter in geschlossenen Räumen aufhalten. Es sollen zudem feste Arbeitsgruppen gebildet werden, die möglichst zeitversetzt arbeiten.

»Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen in der Pandemie den bestmöglichen Schutz«, sagte Heil. Er erhofft sich durch die Maßnahmen, das Infektionsrisiko der Beschäftigten am und auf dem Weg zum Arbeitsplatz zu verringern. So betonte der Minister, dass mehr Homeoffice auch die öffentlichen Verkehrsmittel entlaste, was wiederum jenen zugutekomme, die nicht von zu Hause arbeiten können.

»Dass jetzt mehr Druck für das Ausschöpfen der Möglichkeiten für Homeoffice gemacht werden soll, ist überfällig«, kommentierte die Linke-Vorsitzende Katja Kipping gegenüber »nd.derTag« die neuen Regeln. Ihre Partei habe das seit Beginn der Krise gefordert. »Es war ja wirklich nicht einzusehen, dass Familien Vorschriften bis an den Küchentisch gemacht werden, während Arbeitgeber ihre Angestellten ungestraft hohen Infektionsrisiken aussetzen konnten«, so Kipping. Sie sei jetzt sehr »gespannt darauf, wie hart der Druck, das heißt die Kontrollen und Strafen, tatsächlich ausfällt«.

»Na, klappt doch. Die Beschlüsse zu Homeoffice gehen in die richtige Richtung, aber können nur ein erster Schritt sein, schon alleine, weil die Verordnung nur bis zum 15. März 2021 gelten soll«, sagte die Sprecherin der Linksfraktion für Mitbestimmung und Arbeit, Jutta Krellmann, gegenüber »nd.derTag«. Sie verwies jedoch darauf, dass die Hälfte der Beschäftigten hierzulande keine Bürotätigkeit ausüben und deshalb nicht ins Homeoffice gehen können, weil sie beispielsweise an der Einkaufskasse, in der Produktion oder als Pflegekräfte arbeiten.

Mit den neuen Homeoffice-Regeln hat sich die SPD gegenüber der Union teilweise durchgesetzt, die verbindliche Regeln bisher ablehnte. »Wir sollten die Unternehmen, von denen viele gerade um ihr Überleben kämpfen, nicht zusätzlich mit Zwang und Regulierung bevormunden«, hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch vor einer Woche gegenüber der »Zeit« gesagt.

Die Unternehmer reagierten auf die Ankündigung der Verordnung verschnupft. »Nur wenige Tage, nachdem der Bundespräsident, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber einen entschlossenen und gemeinsamen Appell an Unternehmen und Beschäftigte gerichtet haben, schlägt die Politik in einer Art Ersatzhandlung eine Homeoffice-Bürokratie vor, die in ihrer Wirksamkeit zweifelsfrei hinter dem Handeln der Sozialpartner zurückbleibt«, erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) am Dienstag.

Linke-Chefin Kipping kritisierte die BDA-Äußerungen scharf: »Offenbar ist ihr wichtiger, dass Chefs ihre Angestellten jederzeit ins Büro zitieren können, als die Pandemiebekämpfung.« Das sei hochgradig verantwortungslos. »Hier ist die Arbeitgeberlobby ähnlich destruktiv wie Querdenken.«

Unterdessen wurde Heil am Mittwoch nicht müde zu betonen, dass es »einen vollständigen Lockdown der Wirtschaft mit fatalen Auswirkungen« abzuwenden gelte. Vor allem aber auch: Die neue Homeoffice-Regel beinhalte kein einklagbares Recht. Arbeitnehmern riet er, sich im Zweifelsfall zunächst an den Betriebsrat und nur im »äußersten Konfliktfall« an die Arbeitsschutzbehörden der Länder zu wenden. Nur im Zweifelsfall würden die Behörden kontrollieren und im »allergrößten Notfall« seien auch Bußgelder möglich. Das stehe aber nicht im Vordergrund, sagte der Minister.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!