Antisemitismus-Vorfall in Leipziger Hotel

Musiker Gil Ofarim von Mitarbeiter aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern einzupacken

  • Lesedauer: 5 Min.

Leipzig. Der Musiker Gil Ofarim ist nach eigenen Angaben Opfer eines antisemitischen Vorfalls im Leipziger »Westin Hotel« geworden. Dort habe ihn ein Mitarbeiter aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern einzupacken, berichtete Ofarim in einem am Dienstag veröffentlichten Video bei Instagram. Dann dürfe er einchecken.

Zuvor sei am Hotelempfang wegen technischer Probleme eine lange Schlange entstanden. Ofarim sagte, er habe sich eingereiht - mit seiner Davidstern-Kette um den Hals. »Das steht mir zu. Mache ich schon mein Leben lang«, sagte Ofarim im Video. Immer wieder seien Personen vorgezogen worden. Als er nach 15 Minuten an der Reihe gewesen sei, habe er gefragt, was das solle. Der Hotelmitarbeiter habe ihm die Antwort gegeben: »Um die Schlange zu entzerren«, dabei habe Ofarim ja selbst darin gestanden.

Daraufhin habe »irgendeiner aus der Ecke« gerufen, dass er seinen Stern einpacken solle. Auch der Hotel-Mitarbeiter habe gesagt: »Packen Sie Ihren Stern ein.«

Der Davidstern ist eines der bekanntesten Symbole, die mit dem Judentum verbunden werden. Er besteht aus einem Hexagramm, das durch zwei ineinander verwobene gleichschenklige Dreiecke gebildet wird. Obwohl das Hexagramm als jüdisches Zeichen bereits im 7. Jahrhundert vor Christus vorkommt, schmückt der Davidstern erst seit dem
Mittelalter Synagogen und seit 1948 die Flagge des Staates Israel. Während des Nationalsozialismus wurde der Davidstern den Juden als Stigma (»Judenstern«) aufgezwungen.

Olaf Hoppe, Sprecher der Leipziger Polizei, sagte, dass die mutmaßliche Aussage des Hotelangestellten für ihn »klar antisemitisch« sei. Die Polizei werde Inhalte des Videos an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, die eine strafrechtliche Relevanz prüfe. Je nach Ergebnis werde dann weiter ermittelt oder nicht. Wie Hoppe weiter erklärte, war die Polizei bei dem Vorfall nicht vor Ort. Mit Ofarim habe man bislang nicht gesprochen. Die Behörde kenne sein Video und habe es gesichert.

Ofarim selbst wollte sich zu dem Vorfall am Dienstag auf dpa-Anfrage zunächst nicht äußern. Laut seinem Management erwägt er, eine Strafanzeige zu stellen. Bisher habe es keine offizielle Entschuldigung seitens des Hotels gegeben. Er müsse die Vorkommnisse
in Leipzig erst einmal verdauen und sei sichtlich schockiert. »Heute wäre der Geburtstag seines Vaters gewesen, deshalb möchte er zu diesem Thema auch erst einmal keine weiteren persönlichen Interviews geben«, hieß es. Der Tag sei generell schon schwer genug für ihn. Man bitte um Nachsicht und Verständnis.

Ein Sprecher des »Westin Leipzig« sagte, dass man besorgt über den Bericht sei und die Angelegenheit extrem ernst nehme. Das Unternehmen versuche, Ofarim zu kontaktieren, um herauszufinden, was passiert sei. Ziel sei es, alle Gäste und Mitarbeiter unabhängig von ihrer Religion einzubeziehen, zu respektieren und zu unterstützen.

Eine Sprecherin der Marriott-Gruppe erklärte am Mittwochmorgen, dass zwei Mitarbeiter des Hotels beurlaubt worden seien. Dies gelte zunächst für die Dauer der Ermittlungen. Die »Leipziger Volkszeitung« (Mittwoch) zitierte die stellvertretende Managerin Antje Reichstein mit den Worten: »Wir sind ein weltoffenes Hotel und lehnen jede Form von Intoleranz, Diskriminierung und Antisemitismus auf das Schärfste ab«.

Die »Bild«-Zeitung und die »Leipziger Volkszeitung« berichteten, dass das Hotelmanagement »die betreffenden Mitarbeiter« beurlaubt haben soll. Beide Zeitungen zitierten eine Hotelmanagerin mit den Worten, dass Antisemitismus nicht entschuldbar sei und in dem Hotel nicht geduldet werde. Eine direkte Bestätigung war von dem Hotel am Dienstagabend zunächst nicht zu bekommen.

Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Medien zeigten sich schockiert. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, schrieb in einem Statement beim Kurznachrichtendienst Twitter, dass die Anfeindung erschreckend sei. Es sei zu hoffen, dass das Hotel personelle Konsequenzen ziehe. Er hoffe ebenso, »dass wir künftig auf Solidarität treffen, wenn wir angegriffen werden.« Der Pianist Igor Levit schrieb an das Hotel gerichtet: »Shame on you«.

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) schrieb bei Twitter, dass Ofarim am Montagabend Gast einer Aufzeichnung im Auftrag des MDR gewesen sei. Was er anschließend aus dem Hotel schildere, sei zutiefst beschämend.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sprach von einem »unfassbaren Fall von Antisemitismus« und einem Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). »Eine rasche Antwort des Hotels ist überfällig. Aus unserer Sicht kann das nicht folgenlos
bleiben«, schrieb die Bundesstelle auf Twitter.

Die Vorsitzende des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Lea Rosh, sagte laut Mitteilung, dass dem Musiker die uneingeschränkte Solidarität des Vereins gelte. »Juden waren in Deutschland schon mal in Hotels unerwünscht. Das war 1933. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung und personelle Konsequenzen.«

Auch sächsische Politikerinnen und Politiker äußerten sich. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hofft darauf, dass der Musiker Anzeige erstattet, damit man den Vorgang polizeilich untersuchen könne. »Sachsen ist ein weltoffenes Land«, betonte Wöller.

Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) schrieb bei Twitter, es mache ihn wütend, was Ofarim widerfahren sei. Er spreche für die übergroße Mehrheit der Menschen in Sachsen, wenn er sich stellvertretend für die antisemitische Demütigung entschuldige. »Wir haben noch viel zu tun in Sachsen!« Auch Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) zeigte sich bei Twitter bestürzt. »Antisemitismus darf keinen Platz haben. Nicht offen, nicht verdeckt. Nicht in Sachsen, nicht in Deutschland, nirgendwo.«

Am Dienstagabend nahmen Hunderte Menschen an einer Solidaritätskundgebung mit Jüdinnen und Juden in Deutschland vor dem Hotel teil, zu der das Bündnis »Leipzig nimmt Platz« aufgerufen hatte. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl zunächst auf den
»mittleren dreistelligen Bereich«, wie eine Sprecherin sagte. Agenturen/nd

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