»Es ist alles immer noch voller Dreck«

Andy Neumann hat seine Erlebnisse bei der Flut im Ahrtal aufgeschrieben

Wie sind Sie darauf gekommen, ein Buch über die Flut zu schreiben?

Durch Anregungen von Menschen, die meine Facebook-Protokolle gelesen haben. Ich habe schon in der ersten Nacht angefangen, auf Facebook aufzuschreiben, was passiert ist. Mehr für mich als für andere. Glaube ich. Das fand dann aber doch eine breite Leserschaft. Dann habe ich mit meinem Verlag gesprochen. (Im April 2020 erschien der Thriller »Zehn« von Neumann, Anm. d. Red.) Und der Verlag und ich haben uns schnell darauf verständigt, den Erlös für das Buch den Flutopfern zugute kommen zu lassen.

Interview
Andy Neumann ist Polizist beim Bundeskriminalamt. Er lebt in Bad Neuenahr-Ahrweiler und gehört zu den Betroffenen der katastrophalen Flut im Ahrtal im Juli. Sein Erleben protokollierte er zuerst auf Facebook, jetzt ist daraus ein Buch geworden. Im Gespräch mit Sebastian Weiermann äußert Neumann scharfe Kritik am Katastrophenmanagement in der Bundesrepublik.

Was ist Ihnen in der Flutnacht passiert?

Bis zu einem gewissen Grad dasselbe wie vielen anderen. Von der relativen Sorglosigkeit über das plötzliche Eindringen des Wassers, das dann für uns doch überraschend kam. Und die Zeit dann, wenn das Wasser plötzlich im Haus ist. Wir hatten Glück, dass es nur das Erdgeschoss war, wir Ausweichfläche nach oben hatten und unsere Kinder geschlafen haben. Da enden auch die Parallelen zu vielen anderen, die es sehr viel schlimmer getroffen hat. Bei uns ist das Erdgeschoss vollgelaufen. Was da war, ist weg oder zerstört worden.

Wie weit wohnen sie im Normalfall von der Ahr entfernt?

So etwa 250 Meter. Eigentlich recht weit weg.

Sie schildern im Buch eine gewisse Unzufriedenheit mit behördlichem Handeln. Ist die noch da, oder kam das aus der ersten Emotionalität heraus?

Glaube ich nicht. Ich denke, wir blicken im Rückblick zu positiv auf Dinge. Das fing hier ja an mit Äußerungen der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und anderen an, die ausschließlich schönredeten und betonten, was gut lief. Mein Antrieb, gerade als Beamter, ist es zu schauen, was wir als Staat besser machen können. Dafür muss man kritikfähig und veränderungsbereit sein. Wir haben Katastrophenschutzstrukturen, die sind grottenschlecht, und das kann und darf auch niemand anders nennen. Im polizeilichen Bereich ist es klar geregelt, dass bei Lagen wie Terroranschlägen nicht die Länder allein verantwortlich sind, sondern der Bund mit den Ländern zusammen. Das funktioniert und ist noch nie in Frage gestellt worden. Im Katastrophenschutz ist das nicht der Fall. Das irritiert, weil es bei einer polizeilichen Lage ja »nur« darum geht, Polizeistrukturen zu koordinieren. Bei einer Katastrophenlage geht es darum, Kräfte aus zahlreichen Ressorts aus dem ganzen Land zu koordinieren. Kein Land hat die Ressourcen, um so etwas allein zu bewältigen. Dafür bräuchte es eigentlich Strukturen, die meines Erachtens am besten beim Bund angesiedelt wären.

Zurück zum Persönlichen. In Ihrem Buch schildern Sie ja auch den Kampf um Ihr Haus - wie ist da der aktuelle Stand?

Wir leben nach wie vor im Ferienhaus eines Freundes. Bei unserem Haus ist der Trocknungsprozess halbwegs abgeschlossen. Jetzt kommen die neuen Fenster und der Verputzer. Wenn alles läuft wie geplant, können wir im März in unser Haus zurück.

Es ist viel über einen Mangel an Handwerkern zu hören. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Wir haben vermutlich Glück. Beim Gebäude sind wir versichert, das hilft schon mal. Bei Handwerkern ist das, so traurig es sein mag, ein Faktor. Außerdem bin ich extrem gut vernetzt, was Handwerk angeht. Wir sind da bestimmt nicht exemplarisch für das Ahrtal. Weil es aus dem gesamten Bundesgebiet Hilfsangebote gibt, glaube ich, dass wir es schon hinkriegen. Niemand engagiert sich hier gerade so sehr wie die Handwerker. Da muss man wirklich den Hut ziehen.

Wie sieht es aus Ihrer Sicht allgemein im Ahrtal aus?

Eine schwierige Frage, weil da verschiedene Komponenten eine Rolle spielen. Natürlich sieht besser aus als vor drei Monaten. Aber wenn es regnet, sollte man hier nicht mit sauberen Schuhen unterwegs sein. Es ist alles immer noch voller Dreck. Auch bei den Häusern sieht es ganz unterschiedlich aus. Es gibt welche, die jetzt erst ausgeräumt werden, bei denen sich die Schuttberge vor der Tür türmen. Es gibt eine breite Mischung von Häusern, die schon in der Aufbauphase sind, bis hin zu totalen Ruinen.

Das andere ist die Gesamtstimmung. Die wird nicht besser. Deswegen ist es wichtig, Angebote zu machen. Von der Wärmeversorgung bis zu Kulturveranstaltungen. Damit die Leute auch Dinge haben, auf die sie sich freuen können. Der Winter wird bestimmt länger und härter, als er sonst wäre. Eine bange Frage, auf die hier viele schauen, ist, ob es sich lohnt weiterzumachen. Die kann so oder so beantwortet werden.

Wenn der Weinbau wieder läuft, hat die Region ihren Hauptmagneten zurück. Dann müssen aber auch die Hotels und Restaurants mitziehen und alle wieder aufmachen. Und all diese Leute warten darauf, dass endgültig klar ist, dass sich das lohnt. Die entscheidende Frage ist da, wird alles dafür getan, dass wir nicht noch mal so ein Hochwasser erleben, oder ist das nicht der Fall. Darauf habe ich noch keine schlaue Antwort gehört.

Andy Neumann: Es war doch nur Regen!? Protokoll einer Katastrophe, Gmeiner-Verlag. 157 S., br., 14 €.

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