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Mit dem Alter wird es nicht leichter

Sabrina von Nessen hat mit Frauen gesprochen, die wie sie in Technologiefirmen arbeiten. Und sie hat darüber ein Buch geschrieben

  • Anne Klesse
  • Lesedauer: 8 Min.

nd: War es notwendig, ein Buch zum Thema Female Empowerment zu schreiben?

von Nessen: Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, dass so ein Buch unnötig ist. Ich dachte, dass wir Frauen heute vollkommen gleichberechtigt sind zu Männern. Doch so ist es nicht. Als Vorständin in einem IT-Unternehmen bin ich eine absolute Ausnahme. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und zu der Frage: Wie gleichberechtigt sind wir wirklich - bei Gehalt, Karrierechancen, in unseren Beziehungen? Ich selbst bin in einer Männerwelt aufgewachsen und habe mich darin immer sehr selbstverständlich bewegt.

Interview

Sabrina von Nessen ist Vorstandsmitglied eines IT-Unternehmens in München. Nachdem sie früher gegen explizite Frauenförderung war, setzt sie sich nun für mehr weibliche Führungskräfte in der Technologiebranche ein und sagt: Für mehr Frauen in MINT-Berufen muss sich in Erziehung und Schule einiges ändern.

Ihr Buch »Female Empowerment - Women in Tech. Frauen helfen Frauen mit Tipps zu Karriere, Mindset & Führung für mehr Gleichberechtigung in Tech-Berufen« erschien 2020 im Verlag »tredition«. Dafür interviewten sie und ihre Co-Autorin Sandrine de Vries 25 Frauen, die in der Technologiebranche erfolgreich sind.

Was hat diese Männerwelt ausgemacht?

In der Finanz- und IT-Welt habe ich von Beginn an beinahe ausschließlich mit Männern gearbeitet, die oftmals deutlich älter waren als ich. Geschätzt habe ich dabei immer deren Zielorientierung und Direktheit - die Tendenz zum offenen Wort bis hin zum klärenden Gewitter. Auch wenn sich das sehr klischeehaft anhört, mit diesem Modus kann ich gut umgehen. Ich hatte das Gefühl, mich dadurch auf die fachlichen Herausforderungen konzentrieren zu können. Rückblickend habe ich wohl die unterschwelligen Gängeleien und Rangeleien nicht wahrgenommen oder unterbewusst ignoriert.

Für Ihr Buch haben Sie 25 Frauen in unterschiedlichen Technologieberufen interviewt. Welches Fazit ziehen Sie?

Mein Anliegen war es, die Vielfalt der Karrierewege und auch der Herausforderungen zu porträtieren. Jedes Interview gibt einen individuellen Einblick in eine Lebensgeschichte und motiviert zur Selbstreflexion. Erfreut war ich über den positiven Grundtenor, den alle Frauen hatten. Unser gemeinsames Ziel ist es, jungen Frauen Mut zu machen für eine individuelle Lebens- und Karriereplanung, besonders in technischen Berufen. Wir waren uns einig: Netzwerke, Vorbilder und die Arbeit am eigenen Mindset sind zentrale Erfolgsfaktoren.

Laut Bundesagentur für Arbeit liegt der Frauenanteil in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) in Deutschland bei gerade mal 16 Prozent. Haben die von Ihnen befragten Frauen von ähnlichen Herausforderungen berichtet, denen sie begegnet sind?

Frauen sind in allen Positionen und auf allen Hierarchielevels benachteiligt. Das haben auch viele meiner Gespräche ergeben. Das darf nicht so bleiben. Rahmenbedingungen, aber auch unser eigenes Mindset müssen sich ändern. Ich bin, anders als noch vor ein paar Jahren, für eine Frauenquote, da es anders offenbar nicht funktioniert. Das im Januar novellierte Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen ist leider nur ein erster Minischritt. Es gilt nur für börsennotierte Unternehmen und darin gibt es so viele Wenn und Aber, dass es am Ende nur eine Minderheit der Unternehmen in Deutschland überhaupt betrifft.

Wo muss angesetzt werden, um das zu ändern?

Es gibt leider nicht genügend qualifizierte Frauen. Wir dürfen nicht erst im Studium damit anfangen, Frauen zu bestärken, in diese Bereiche zu gehen, sondern viel früher ansetzen: In der Erziehung unserer Kinder müssen wir von Anfang an Gleichberechtigung schaffen, in den Schulen muss Persönlichkeitsentwicklung stattfinden dürfen. Auch Lehrpläne müssen sich ändern: Aktuell ist der Informatikunterricht ja lächerlich! Im internationalen Vergleich ist Deutschland dramatisch weit abgeschlagen beim Thema Digitalisierung. Ich glaube aber auch, dass wir in uns selbst eine viel größere Kraft haben, als wir uns das vorstellen können. Wenn wir es schaffen, unsere Stärken zu erkennen, dann werden wir unsere Ziele erreichen. Am Ende muss die Veränderung aus uns selbst heraus kommen. Wir haben das Potenzial, wir haben die Ausbildung, wir sind die Hälfte der Gesellschaft - es fehlen uns nur die Sichtbarkeit und das Netzwerk.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst in Ihrer Karriere gemacht?

Mit Mitte 20 war ich in einem Unternehmen die jüngste Führungskraft unter sehr vielen älteren Männern. Ich war erfolgreich und wollte den nächsten Karriereschritt machen, doch ein Vorstand sagte mir, ich sei jung und eine Frau, wir könnten ja in zehn Jahren noch mal drüber reden. Erst viel später ist mir klar geworden, was er damit eigentlich gesagt hat: Für junge Frauen ist hier kein Platz, das war seine tiefe Überzeugung. Das hat mich natürlich enttäuscht und letztendlich habe ich Konsequenzen daraus gezogen und das Unternehmen irgendwann gewechselt. So ergeht es vielen Frauen, die ich spreche.

Die Herausforderungen, vor die Frauen gestellt werden, werden mit dem Alter nicht leichter, weniger oder anders. Was sich ändert, ist unsere Erfahrung. Wir haben gelernt, mehr oder weniger gütig über spitze Bemerkungen hinwegzusehen und wo nötig gekonnt zu erwidern. Wir haben auch uns selbst besser kennengelernt und ruhen mehr in der Mitte, weil wir unsere Stärken und unsere Persönlichkeit schätzen. Dann verletzen uns Kritik und Vorurteile nicht mehr so stark. Und wir haben ein Netzwerk aufgebaut, aus dem wir Kraft schöpfen können.

Was bringen Netzwerke?

Ob kleines privates Netzwerk oder großes, professionell organisiertes - ich glaube, es ist wichtig, gleichgesinnte Menschen zu finden, denen man vertraut und die einen an einem schlechten Tag stärken und manchmal auch antreiben. Männer pflegen seit Jahrhunderten ihre Seilschaften. Wir Frauen fangen gerade erst damit an. Aber mittlerweile ist es einfach, sich zu vernetzen, real und online. Wichtig ist, sich nicht an die sogenannten »Queen Bees« zu halten - im Bienenstock sind die Königinnen als einzige fruchtbar und lassen sich zuarbeiten. In der Wirtschaft sind das dominierende Frauen in Führungspositionen, die andere Frauen kleinhalten.

Was hält Frauen davon ab, Gleichberechtigung einzufordern und auch tatsächlich zu leben?

Was hält Menschen davon ab, ihre Ziele zu erreichen? Diese Frage stelle ich mir jeden Tag. Vieles hat mit der eigenen Prägung zu tun, mit einem geringen Selbstwertgefühl. Ein Muster, das ich oft erlebe, ist, dass viele Frauen glauben, dass sie es gar nicht verdient haben, glücklich und erfolgreich zu sein. Sie können tausend Dinge nennen, worin sie schlecht sind. Doch wenn es darum geht, Stärken und Erfolge zu benennen, werden sie still.

Wenn ich aber meinen eigenen Selbstwert nicht kenne - wie soll ich dann den Glauben daran haben, ein Ziel erreichen zu können? Und wie soll ich dann andere davon überzeugen, dass ich es kann? Rahmenbedingungen lassen sich ändern, doch die eigenen Glaubenssätze sind sehr viel schwieriger zu überwinden. Was ich in den Lebenswegen immer wieder sehe, ist das Motto: »Change it or leave it.« Wir können versuchen, unser Umfeld zu ändern. Wenn das nicht funktioniert: Keine Angst vor Veränderung, dann versuchen wir es in einem anderen Unternehmen, an einem anderen Ort!

In Ihrem Buch sagt die Geschäftsführerin der Business Kollektiv GmbH, Anna Rossi: »Der zentrale Mythos ist: Fleiß wird belohnt, daran glauben nach wie vor sehr viele Frauen.« Was kann jede Einzelne also tun, um herauszustechen und eigene Erfolge sichtbar zu machen?

Sichtbarkeit und ein Personal Branding sind für jede Frau wichtig: Wer bin ich und wie möchte ich wahrgenommen werden? Wer etwas zu geben hat, sollte damit werben. Das fällt vielen Frauen unglaublich schwer. Männer werden immer über uns Frauen sprechen, leider oft über unser Äußeres. Lasst uns unsere inneren Werte nach außen kehren! Unsere Geschichten der ganzen Welt erzählen! Es wird auch dann noch Kritiker und Bremser geben, aber wer eine Community hat, die wertschätzt und unterstützt, ist stark. Dafür ist Selbstwirksamkeit-Überzeugung wichtig: Ich muss mich selbst verstanden haben und mich gut finden, auf mich selbst vertrauen und das nach außen zeigen. Dann vertrauen uns auch andere Menschen und wollen sich mit uns verbinden. Und zusammen sind wir stärker.

Eine Protagonistin berichtet in Ihrem Buch davon, wie sie »sehr häufig in Schubladen gesteckt wurde, bedingt durch das Aussehen, bedingt durch die Weiblichkeit«. Kennen Sie solche Erfahrungen selbst?

Ich fürchte, solche Erfahrungen hat jede Frau schon gemacht. Auch diejenigen in Top-Positionen haben alle davon berichtet. Der Weg ist mitunter hart, aber wir müssen ihn gehen. Es werden uns Steine in den Weg gelegt werden - wir müssen über sie hinüberlaufen. Wir können nicht davon ausgehen, dass uns Frauen der rote Teppich ausgerollt wird. Wege entstehen, indem wir sie gehen.

Ihr Tipp, den jede Frau beherzigen kann, um erfolgreicher in der Tech-Branche zu sein?

Erfolge entstehen selten isoliert, sondern meist im gemeinsamen Lernen und im Austausch mit anderen. Mein Tipp ist daher, besser früher als später mit einem Mentor oder einer Mastermind aus Gleichgesinnten zu arbeiten. Durch die unterschiedlichen Blickwinkel entstehen Ideen und Lösungsansätze, die im stillen Kämmerlein selten oder mit deutlich mehr Aufwand entstehen.

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