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Der große Protest bleibt aus
In Kuba findet der »Marsch für den Wandel« weniger Zulauf als von den Organisatoren erwartet
Am Sonntagnachmittag drei Uhr saß Ibrahim gerade in einem italienischen Restaurant in Havannas Stadtteil Vedado, als er kurz innehielt, um zu applaudieren. »Acht-, neunmal, nicht sehr laut, um die anderen Gäste nicht zu belästigen«, sagt der Mittfünfziger, der mit dem Verkauf von Antiquitäten sein Geld verdient. Seinen vollen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. »Ich habe geklatscht – nicht, weil ich dafür oder dagegen bin, sondern aus Respekt vor Leuten, die Mut haben.«
Ibrahim meint damit Menschen wie Yunior García. Der 39-jährige Theaterdramaturg und eine Gruppe von Aktivist*innen hatten für Montag, den 15. November, eine Reihe von Demonstrationen unter dem Slogan »Marsch für den Wandel« in mehreren Städten Kubas beantragt, um für die Freilassung politischer Gefangener und einen friedlichen Wandel auf die Straße zu gehen. Über die Onlineplattform Archipiélago mobilisierten sie zu den Protesten. Die Regierung aber verweigerte die Genehmigung, mit der Begründung, es handele sich um eine Destabilisierungskampagne der USA. Den Organisator*innen drohte sie mit drakonischen Strafen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Wenn die kubanische Regierung sich von den USA stärker bedroht fühlt, sinkt ihre Toleranz für interne Dissidenz«, sagt William LeoGrande, Kuba-Experte von der American University in Washington, D.C. »Alle Regierungen, die sich angegriffen fühlen, werden weniger tolerant gegenüber interner Opposition.« Kubas Außenminister Bruno Rodríguez betonte in der vergangenen Woche gegenüber ausländischen Diplomaten, man werde keine Demonstration erlauben.
Wenige Tage vor der geplanten Demo erklärte García, er habe beschlossen, am Sonntag allein in Havanna zu marschieren – »im Namen aller Bürger, denen die Regierung das Demonstrationsrecht vorenthalten hat«. Er wolle so eine gewalttätige Konfrontation vermeiden. Über Archipiélago rief García die Bevölkerung dazu auf, nachmittags zu applaudieren, am Montagabend Töpfe zu schlagen, weiße Kleidung zu tragen oder weiße Laken ins Fenster zu hängen.
Garcías alleiniger Protestspaziergang am Sonntag aber fiel aus. Sein Haus wurde von Regierungsanhängern belagert und er selbst daran gehindert, auf die Straße zu gehen. Im Quijote-Park im Stadtteil Vedado, wo er loslaufen wollte, organisierte die Regierung stattdessen ein Fest – mit Clowns und Musik. Die dort Versammelten ließen Fidel hochleben, schwenkten Kuba-Fahnen und erteilten einer Einmischung der USA eine Absage.
»Die Proteste am 11. Juli waren spontan und überraschend, aber dieses Mal war alles angekündigt, und die Regierung hatte Zeit, sich vorzubereiten«, sagt Miguel. Der junge Mann aus Centro Habana lässt seine Sympathie für die Proteste erkennen, war selbst am 11. Juli aber nicht auf der Straße, als in mehreren Städten des Landes Tausende gegen die Lebensmittel- und Medikamentenknappheit protestierten und dabei zum Teil regierungsfeindliche Slogans skandierten. »Diesmal wird niemand auf die Straße gehen«, prophezeit er.
Tatsächlich ist die Situation eine andere als im Juli. Damals war die Corona-Pandemie auf dem Höhepunkt mit täglich neuen Höchstständen an Infektionen und Toten, das Gesundheitssystem stand mancherorts kurz vor dem Kollaps, der mehrmonatige Lockdown zerrte an den Nerven, hinzu kamen die Stromabschaltungen und die verheerende Versorgungslage.
Die Versorgungslage ist zwar weiterhin katastrophal, aber zumindest die Pandemie scheint unter Kontrolle. Ein Großteil der Bevölkerung ist geimpft, die seit Februar geltende nächtliche Ausgangssperre aufgehoben, Bars und Restaurants haben wieder geöffnet, die Schule geht wieder los, und die Wiederöffnung der Grenzen für den internationalen Tourismus nach anderthalb Jahren Pandemie lässt manchen zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Die allgemeine Stimmung ist weniger explosiv als im Sommer. Oder wie es Rubén, der für eine staatliche Behörde arbeitet, ausdrückt: »Es ist nicht genügend Druck auf dem Kessel.«
Und so blieb auch am Montag alles ruhig. Die wichtigsten Anführer*innen der geplanten Demonstration fanden sich unter Hausarrest gestellt. Ansonsten herrschte auf Havannas Straßen Normalität. Die Menschen gingen zur Arbeit, vor den Geschäften bildeten sich wie immer lange Warteschlangen. Behörden, der öffentliche Nahverkehr und auch das Internet funktionierten normal. Anders als im Juli war dieses Mal kein größeres Polizeiaufgebot zu erkennen.
Und auch weiße Kleidung war nicht häufiger zu sehen als sonst und auch kein Topfschlagen zu hören. Es kam allenfalls zu kleinen persönlichen Solidaritätsbekundungen wie der von Ibrahim. Aber selbst die blieben die Ausnahme.
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