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»Die Flut kam nicht plötzlich«
Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe hat seine Arbeit aufgenommen
Jörg Kachelmann ist einer der prominentesten »Wetterfrösche« in Deutschland. Die Vorhersagen seines Unternehmens sind oft erstaunlich genau. Kachelmann ist auch laut. Wenn aus seiner Sicht unbegründet gewarnt wird, schimpft er, meist über Twitter, auf Medien und Meteorologen. Genauso laut kann er aber auch sein, wenn Warnungen aus seiner Sicht unzureichend sind.
So verhielt er sich Mitte Juli, als Starkregenfälle in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Hochwasser auslösten, die für 184 Todesfälle in Deutschland und 41 Tote in Belgien sorgten. Jörg Kachelmann war der zweite Sachverständige, den der nordrhein-westfälische Untersuchungsausschuss am vergangenen Freitag zur Flutkatastrophe anhörte. »Es hätte bei dieser Wettersituation niemand ums Leben kommen müssen, wenn all das getan worden wäre, was hätte getan werden können«, wählte der Wetterjournalist schon zu Beginn seiner Anhörung drastische Worte. Die Flut sei nicht plötzlich gekommen, Modellrechnungen hätten im Vorfeld gezeigt, was passieren würde. Kachelmann zeigte den Warnstand vor dem Unwetter auf.
In den Tagen vor dem Unwetter seien die Modelle immer präziser geworden, sowohl örtlich als auch auf die Regenmengen bezogen. »Die Informationen waren alle da. Warum um alles in der Welt hat niemand den Menschen gesagt: Da kommt etwas, was wir noch nie gesehen haben. 24 Stunden vorher hätte man alle Talschaften in der Eifel evakuieren müssen«, erklärte Kachelmann.
Kachelmann ist für große Erregung und Dramatik bekannt. Dass seine Aussagen zur Jahrhundertflut ins Schwarze getroffen haben, bestätigte die britische Hydrologie-Professorin Hannah Cloke im Untersuchungsausschuss. Clocke hat das »European Flood Awareness Systems« (EFAS) mitentwickelt. Kurz nach der Flut im Juli attestierte sie den deutschen Behörden ein »monumentales« Versagen bei der Warnung der Bevölkerung.
Cloke erklärte den Ausschussmitgliedern, wie das EFAS funktioniert, erzählte von einer Warnung, die das System mehrere Tage vor der Katastrophe erstellt hatte. Diese Warnung habe zwar noch Unklarheiten enthalten, für die Behörden in Deutschland hätte sie aber ein Grund für eine erhöhte Aufmerksamkeit sein sollen, so Cloke. Was die Behörden in Nordrhein-Westfalen mit den Informationen gemacht hätten, könne sie nicht sagen. Es habe sie allerdings »überrascht«, dass so viele Menschen gestorben sind. Wegen der hohen Todeszahl müsse man davon ausgehen, dass das »System insgesamt versagt« habe.
Nach den Anhörungen übten die Oppositionsfraktionen von Grünen und SPD deutlich Kritik. Der Grüne Umweltpolitiker Johannes Remmel kritisierte, dass frühzeitige Warnungen »offensichtlich in Nordrhein-Westfalen nicht verstanden, genutzt und korrekt übertragen worden« seien. Weder Computermodelle noch die Warnung der Bevölkerung hätten funktioniert. Geklärt werden müsse acuh, warum »die Übersetzung der Frühwarnungen von EFAS bei nordrhein-westfälischen Behörden und der Landesregierung offenkundig nicht funktioniert« haben. Dies sei eine »wesentliche Aufgabe« des Untersuchungsausschusses.
Das Leben danach
Im Ahrtal gibt es nach der Flutkatastrophe mancherorts wieder Hoffnung
Der SPD-Politiker Stefan Kämmerling fragte sich, ob das »Märchen von der Unvorhersehbarkeit der Hochwasserkatastrophe« von der Landesregierung weitererzählt werden könne. Nach den Expertenanhörungen könne man daran ernsthafte Zweifel haben. Die zentrale Frage des Ausschusses sei: »Warum hat die Landesregierung die Menschen vor diesem Hochwasser nicht geschützt?« Dass CDU und FDP die Frage beantworten wollen, bezweifelte Kämmerling. Durch sie gäbe es Ablenkungsmanöver und »Verzögerungstaktiken bei der Aktenübermittlung«.
»Es ist alles immer noch voller Dreck«
Andy Neumann hat seine Erlebnisse bei der Flut im Ahrtal aufgeschrieben
Über die Aktenübermittlung durch Bundesbehörden wollte der Ausschuss am Freitag eigentlich mit Kanzleramtschef Helge Braun sprechen. Braun, der CDU-Vorsitzender werden will, sagte jedoch ab. Der »Spiegel« zitierte aus einem Brief Brauns, in dem er erklärt, dass der Ausschuss sich an die jeweiligen Ministerien wenden könne, von denen er Akten haben will. »Die Erwartung bei Ausschussmitgliedern war schon, dass uns ein Vertreter der Bundesregierung zur Verfügung steht«, erklärte FDP-Politiker und Ausschussvorsitzende Ralf Witzel.
Das vorläufige Fazit: In Düsseldorf fühlt man sich bei der Flutaufarbeitung nicht ernst genommen.
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