Betroffene können das Recht zur Sterbehilfe nicht umsetzen

Oberverwaltungsgericht NRW in Münster verweigert den Zugang zum tödlichen Medikament

  • Lesedauer: 4 Min.

Schwerstkranke können nach wie vor den höchstrichterlich bestätigten Sterbewunsch nicht umsetzen. Muss das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Kauf von todbringende Medikamente erlauben?

Mit dieser juristischen Frage beschäftigte sich am 2. Februar 2022 das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Das Gericht ist zuständig für die Klage, weil das Bundesinstitut seinen Sitz in Bonn hat. Das OVG verneinte die Frage, ob der Staat Schwerkranken den Weg zu einem Betäubungsmittel öffnen darf, damit sich diese selbst töten können und appellierte zugleich an den Bundestag, eine gesetzliche Basis für den selbstbestimmten Tod zu schaffen.

Die Kläger kommen aus Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Sie fordern vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ihnen den Kauf des Mittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Und zwar so, als hätten sie von einem Arzt ein Rezept erhalten und könnten damit zu einer Apotheke gehen.

Nach Angaben der Bundesregierung von September 2021 sind seit 2017 insgesamt 223 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis beim Bundesinstitut in Bonn eingegangen. Kein Fall wurde bewilligt. Alle 144 Anträge wurden abgelehnt. In 54 Fällen gab es Widersprüche, die wiederum zurückgewiesen wurden. Den Ablehnungen des Bundesinstituts ging ein umstrittener Nichtanwendungserlass des Bundesverwaltungsgerichts durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) voraus.

Bekanntlich hatte das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom Februar 2020 das Verbot der organisierten Sterbehilfe in Deutschland gekippt, weil damit das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt werde. Mit dem Urteil wurde das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben unterstrichen. Aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen, blieb dagegen verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe, bei dem ein tödliches Medikament zur Verfügung gestellt wird, nimmt der Patient das Mittel selbst ein. Anspruch auf Hilfe durch Mediziner oder den Staat gibt es jedoch nicht.

Einer der Kläger vor dem OVG in Münster ist 51 Jahre alt, kommt aus Rheinland-Pfalz und leidet seit über 20 Jahren an Multipler Sklerose. Der Mann ist ab unterhalb der Schulter gelähmt und muss rund um die Uhr betreut werden. Essen kann er nur mit Hilfe eines Betreuer. Er will im Kreise seiner Familie mit Hilfe seiner Schwester selbstbestimmt sterben. So hat er es vor dem Oberverwaltungsgericht erzählt. Seine Stimme ist leise, sein Anwalt wiederholt seine Worte ins Mikrofon.

Eine andere Klägerin aus dem Landkreis Schwäbisch-Hall ist 68 Jahre alt und leidet neben Krebs an multiplen Erkrankungen und unter erheblichen Schmerzen. Nach Angaben ihres Anwalts liegt sie im Sterben. Der dritte Kläger ist ein 77-jähriger Mann aus dem Landkreis Lüneburg, der neben Krebs auch an einer Herzerkrankung leidet.

Alle drei wollen selbstbestimmt aus dem Leben scheiden und hatten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis zum Kauf des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital beantragt, um sich mit diesem Mittel selbst zu töten. Sie wurden abgewiesen.

Laut Betäubungsmittelgesetz ist nach Überzeugung des OVG keine Erlaubnis möglich. Der Gesetzgeber habe hier nicht die Nutzung eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung gemeint, sondern zur Heilung von Krankheiten.

Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin am OVG, sprach in der mündlichen Verhandlung von schwierigen Fällen. »Allerdings nicht unbedingt rechtlich. Wir haben es hier mit schwierigen ethischen Fragen zu tun«, führte sie aus. »Wir müssen aber juristisch entscheiden und sind kein Ethikrat.«

Dabei gehe es neben dem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben um die Abwägung der Suizidprävention und dem Vorbeugen des Missbrauchs von Betäubungsmitteln. Der staatliche Schutz des Lebens stehe im Gegensatz zum Grundrecht auf Sterben.

Das OVG hält es laut Urteilsbegründung mittlerweile in Deutschland für möglich, mit Hilfe eines Arztes oder Sterbehilfeorganisationen aus dem Leben zu scheiden. Auch gebe es eine Alternative zu Natrium-Pentobarbital. Mit einer Kombination aus verschiedenen, verschreibungspflichtigen Mitteln sei ein selbstbestimmter Tod möglich.

Letztendlich geht es aber auch um die Frage, ob das höchstrichterlich festgestellte Grundrecht auf Selbsttötung nicht ins Leere läuft, wenn es faktisch nicht umgesetzt werden kann.

Das OVG äußerte Bedauern, dass der Bundestag bislang noch kein Gesetz vorgelegt habe, um das Problem grundsätzlich zu regeln. »Aber weil der Bundestag nicht tätig geworden ist, könne daraus kein Erlaubnisanspruch abgeleitet werden«, so die Vorsitzende Richterin. Einig waren sich Gericht und Anwälte, in Zukunft müssten Ärzte das Medikament verschreiben.

Das Betäubungsmittelrecht müsse sich weiterhin auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung konzentrieren. »Das Bundesinstitut ist nicht verpflichtet, die Ausgabe von Suizidpräparaten zu genehmigen«, bekräftigte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. dpa/nd

Aktenzeichen: Az. 9 A 146/21, Az. 9 A 147/21, Az. 9 A 148/21, Az. 3 C 19.15 (Bundesverwaltungsgericht am 2. März 2017), Az. 2 BvR 2347/15 (Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020).

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