»Wir wollen lesen«

Die Großen gegen die Kleinen: Reaktionen auf die Absage der Leipziger Buchmesse

  • Lesedauer: 4 Min.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hat enttäuscht auf die erneute Absage der Leipziger Buchmesse reagiert: »Es tut weh, weil es natürlich ein Branchentreffen ist, was der Stadt guttut und was nicht nur wirtschaftliche Aspekte hat, sondern auch für den gesellschaftlichen Diskurs wichtig ist«, sagte er. Alle hätten sich auf die Messe gefreut. »Ich hoffe sehr, dass die Verlage uns nicht auch nächstes Jahr sagen: Na, geht doch ganz gut online«, fügte Jung hinzu.

Die Buchmesse sollte vom 17. bis zum 20. März stattfinden. »Schweren Herzens« teilte die Messe am Mittwoch mit, dass sie abgesagt wird - zum dritten Mal in Folge. Branchenberichten zufolge hatten sich in den vergangenen Tagen Absagen gehäuft, vor allem auch von großen Verlagsgruppen wie Penguin Random House und Oetinger. Begründet wurde dies mit der pandemischen Situation. Die Leipziger Veranstaltung ist die zweitgrößte deutsche Buchmesse nach der Frankfurter. Die hatte im vergangenen Herbst im kleineren Format mit nur noch rund 70 000 statt wie sonst 300 000 Besuchern stattgefunden, nachdem sie im ersten Coronajahr 2020 als digitale Veranstaltung über die Bühne gegangen war. In Leipzig soll es dieses Jahr nicht einmal ein digitales Ersatzprogramm geben, das Lesefestival »Leipzig liest« wurde zusammen mit der Messe abgesagt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die großen Verlage sagten die Messe ab, die kleinen solidarisierten sich mit ihr. »Die Leipziger Buchmesse ist von zentraler Bedeutung für die vielfältige deutsche Buch- und Verlagswelt«, hatte die Kurt-Wolff-Stiftung, die Interessenvertretung unabhängiger Verlage, noch einen Tag vor der Absage betont. Danach formulierten verschiedene Autoren ihr Unverständnis über diese Entscheidung und forderten in einer Internetpetition: »Macht die Buchmesse auf! Wir wollen lesen!«

In der Petition, die unter anderem Gregor Sander, Katja Oskamp, Jaroslav Rudiš, Simone Buchholz, Peter Wawerzinek, Julia Schoch, Anke Stelling, Dilek Güngör, Christian Baron, Bov Bjerg und Julia Franck unterzeichnet haben, heißt es: »Wir sind wütend, traurig, fassungslos. Die Leipziger Buchmesse wurde von den großen westdeutschen Verlagen zur Absage gezwungen. Schon an diesem Wochenende dürfen wieder 10 000 BesucherInnen in die Fußballstadien, die Berlinale findet zurzeit mit Publikum in Berlin statt und 2G in den Geschäften wird gerade abgeschafft. Warum also soll in fünf Wochen nicht die Leipziger Buchmesse stattfinden? Ist Literatur nichts wert? Sind wir nichts wert?«

Auch die Initiative »Verlage gegen rechts«, der über 180 Verlage, Initiativen und Einzelpersonen angehören, erklärte in einem offenen Brief, die Absage der Messe sei nicht nur für Verlage, Autor*innen und die Region Leipzig ein ökonomischer Verlust, sondern auch »ein schwerer Schlag gegen die Kulturlandschaft«. Die Initiative warnte davor, dass die »Felder Sprache, Erzählung, Bildung, Wissen, Weltwahrnehmung, Geschichte« zu »Monokulturen profitorientierter Bewirtschaftung« werden könnten, wenn »idealistische Hingabe« nicht mehr zähle. Ihrer Auffassung nach sei die Leipziger Buchmesse eine wichtige Begegnungsstätte, da dort besonders »kühne, engagierte, nichtetablierte Autor*innen und Verlage« viel Aufmerksamkeit erfahren.

Wenn die Messe nun erkläre, durch die Stornierungen einiger großer Verlage sei die »erwartete Qualität und inhaltliche Breite nicht mehr gewährleistet«, dann komme dies »einer Verhöhnung derer gleich, die mit ihrer Arbeit das kulturelle Leben erst ermöglichen«. Die »Verlage gegen rechts« weisen darauf hin, dass sie für die abgesagte Messe mehrere Podiumsdiskussionen zu politischen Themen vorbereitet hätten: unter anderem zu rechten Angriffen auf den Kulturbetrieb, insbesondere nach dem Lavieren der Veranstalter bei der letzten Frankfurter Buchmesse.

Die Initiative verwahrt sich gegen eine künftige Digitalisierung der Messe und fragt grundsätzlich: »Sind die Konzernverlage - oder besser, ihre Marketingabteilungen - nicht vielleicht entbehrlich für dieses Fest kultureller Begegnung, für diese Feier von Diversität und Offenheit? (...) Brauchen wir, braucht die Gesellschaft nicht vielleicht eine von diesen Konzernen unabhängige Leipziger Buchmesse?« nd/Agenturen

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