Knapp oder trotzdem teuer, das ist hier die Frage

Ein permanenter Stopp der Gaslieferungen aus Russland wäre für die EU schwer zu verkraften. Perspektivisch kann hier nur der zügige Ausbau der Erneuerbaren helfen

  • Christoph Müller
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Union deckte zuletzt rund 40 Prozent ihres Gasbedarfs durch Importe aus Russland. Doch unter den Mitgliedsländern ist die Abhängigkeit unterschiedlich groß - in Deutschland liegt die Quote sogar bei rund 55 Prozent. Sollte der Ukraine-Konflikt eskalieren, wäre nicht ganz auszuschließen, dass diese Importe wegfallen - entweder wegen westlicher Sanktionen oder als russische Gegenmaßnahme.

Doch was wären die Folgen? Russland könnte sich dies wohl einigermaßen leisten. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, würde auch der Preis für Öl deutlich steigen, ein Rohstoff, den Russland auch an andere Länder verkaufen könnte.

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In der EU hingegen sind bereits jetzt die Gasspeicher weniger gut gefüllt als in normalen Jahren. Das liegt nicht zuletzt an Gazprom, denn die Speicher des russischen Konzerns in der EU sind nur zu 16 Prozent voll, während es bei anderen Konzernen noch 44 Prozent sind. In einem EU-Dokument zum derzeitigen Energiemarkt war bereits davon die Rede, dass Gazprom »ein ungewöhnliches Geschäftsgebaren« zeige.

Die EU ist allerdings nicht ganz unvorbereitet. Seit dem Jahr 2005 ist die Kapazität für den Import von verflüssigtem Gas (LNG) um den Faktor 3,4 gestiegen. Zudem wurde bereits 2011 eine zweite Pipeline von Algerien nach Spanien eröffnet und im vergangenen Jahr das letzte Teilstück des »Südlichen Gaskorridors« fertiggestellt, durch den der Energierohstoff von Aserbaidschan nach Europa gelangt. Außerdem hat die EU die Verbindungen zwischen ihren Mitgliedsländern so ausgebaut, dass die meisten von ihnen nun aus verschiedenen Richtungen Gas beziehen können. Die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sagte daher auf der Münchner Sicherheitskonferenz: »Selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland, sind wir diesen Winter auf der sicheren Seite.« Hingegen ließ sie außen vor, dass dies nicht von vorn herein klar war. Wäre der Winter deutlich kälter gewesen, wären die Gasspeicher heute deutlich leerer.

Die gute Prognose bedeutet außerdem nicht, dass einzelne Länder nicht doch Probleme bekommen könnten. Insbesondere im Osten der EU ist die Infrastruktur nach wie vor darauf ausgelegt, dass der größte Teil des Gases via Belarus oder die Ukraine kommt. Eine Komplettversorgung aus Westeuropa ist nicht vorgesehen. Und dann ist Gas nicht gleich Gas: In Nordwesteuropa wird »L-Gas« genutzt und im Rest Europas »H-Gas«, das deutlich mehr Methan enthält und einen höheren Energiegehalt aufweist. Da die Infrastruktur auf die jeweilige Gassorte ausgerichtet ist, lässt sich das eine nicht problemlos durch das andere ersetzen.

Sollte Europa mehrere Jahre lang kein russisches Gas mehr importieren, sähe die Lage dramatischer aus. Eine Studie des belgischen Thinktank Bruegel warnt: »Auf der Angebotsseite sind zwar einige freie Importkapazitäten vorhanden, doch wäre es im besten Fall sehr teuer und im schlimmsten Fall physisch unmöglich, die russischen Mengen vollständig zu ersetzen.« Das Hauptproblem beim Angebot ist die Verfügbarkeit von LNG. Wegen des hohen Gaspreises laufen die Anlagen zur Verflüssigung bereits an der Kapazitätsgrenze, und auch LNG-Tanker sind knapp. Zudem haben sich Länder in Asien einen Großteil des verfügbaren Flüssiggases über langfristige Verträge gesichert. Auch beim Pipelinegas gibt es keine großen ungenutzten Potenziale. Einzig aus Algerien und Libyen ließe sich deutlich mehr beziehen als heute. Die Produktion steigern könnte theoretisch auch das niederländische Gasfeld Groningen. Dort ist derzeit die Produktion gedrosselt, um Erdbeben zu verhindern. Ein Hochfahren dürfte allerdings auf lokalen Protest stoßen.

Folglich müsste die Nachfrage sinken. Hier besteht laut der Bruegel-Studie die Möglichkeit, bei der Stromerzeugung Gas durch Öl oder Kohle zu ersetzen sowie Kernkraftwerke länger laufen zu lassen. Zudem ließe sich in der Industrie Gas einsparen, indem besonders gasintensive Industrien die Produktion aussetzen. Außerdem ist es möglich, durch Verhaltensänderungen Einsparungen zu erzielen. Doch all diese Maßnahmen würden sich »für manche Länder als schmerzhaft erweisen«.

Aber auch ohne Einschränkung des Gasangebots könnte es Probleme geben: »Dann würde es zumindest vorübergehend zu einem Preisschock kommen«, meint Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts in München. Aktuell liegt der TTF Dutch - Europas wichtigster Gaspreis wird an einem virtuellen Handelspunkt im niederländischen Gasnetz ermittelt, wo ein sehr hohes Handelsvolumen verzeichnet wird - bei rund 75 Euro pro Megawattstunde und ist damit fünf Mal so hoch wie im Jahr 2020. Wie stark der Preis noch steigen kann, zeigte eine kurzfristige Preisspitze im Dezember: Damals kostete Gas schon mal 166 Euro. Hinzu kommt, dass ein steigender Gaspreis auch den Strompreis nach oben zieht, und der ist aktuell dreieinhalb Mal so hoch wie vergangenes Jahr.

Langfristig setzt die EU auf den Ausbau der Erneuerbaren, auch um die Abhängigkeit von importiertem Gas zu reduzieren. »Die beste Lösung für mehr Energiesicherheit und für tiefe Preise ist die beschleunigte Umsetzung des europäischen Green Deal«, schreibt die EU in ihrer Analyse des Energiemarkts. »Jedes Windrad und jedes Solarpaneel reduziert sofort die Abhängigkeit von Gasimporten.«

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