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Die Zahl der Geschlechter
Ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht wurde heiß diskutiert, wirklich konstruktiv war das nicht
Vor dem Gebäude Polizeipräsenz, drinnen Wachschutz. Die Stimmung unter den Anwesenden ist entspannt. Marie-Luise Vollbrecht holt an diesem Donnerstagabend an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) ihren Vortrag nach, den sie bereits zwei Wochen zuvor zur »Langen Nacht der Wissenschaft« hatte halten wollte. Der Titel: »Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt«. Linke Jurastudent*innen hatten Proteste gegen den Vortrag angekündigt. Sie warfen Vollbrecht Transfeindlichkeit vor und meldeten Gegendemos an. Die HU sagte den Vortrag schließlich aus »Sicherheitsbedenken« ab – und wurde dafür harsch kritisiert. Die Absage gefährde die Wissenschaftsfreiheit, hieß es.
Vollbrecht selbst ist an diesem Abend sichtlich nervös. Zu Beginn liest die 32-Jährige ein Statement vor: Sie finde nicht, dass ein sachlich richtiger biologischer Vortrag durch Geisteswissenschaftler*innen kontextualisiert werden müsse. Das Panel, das die Humboldt-Universität infolge der Kritik ansetzte, sei unausgewogen besetzt. Vollbrechts Vortrag ist populärwissenschaftlich ausgerichtet. Es geht darin um Seeanemonen, um Ryukyu-Beutelratten, darum, dass biologisches Geschlecht wichtig für Medizin und Forschung sei. Vieles ist Basiswissen. Man müsse Sex von Gender trennen. Beides habe seine Existenzberechtigung, aber es müsse sauber gearbeitet werden. Sie kritisiert, dass Sex und Gender auch in den Naturwissenschaften bereits verwechselt würden. Nach dem Vortrag weigert sich Vollbrecht, Fragen zu beantworten und verweist auf die Möglichkeit, dies über Twitter oder bei einem anschließend stattfindenden Livestream auf Youtube zu tun.
Etwas später, vor dem 20 Minuten Fußweg entfernten Audimax II: Der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen verteilt Flyer. Auf denen steht »Wir fordern Schutzräume für TIN*-Personen an der HU« und »Wer unwidersprochen menschenverachtenden Sprecher*innen eine Bühne geben möchte, soll dies an einer Uni ohne Student*innen tun«. Anlass der Kritik ist nicht nur Vollbrechts Vortrag selbst, sondern auch ein Text, den sie zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen für die »Welt« geschrieben hat. Darin wird das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsrecht für trans Menschen kritisiert und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeworfen, man wolle Kinder indoktrinieren und sexualisieren.
Die Diskussion über Vollbrechts Thesen wird hitzig geführt – und ohne ihre Anwesenheit. Aus dem Publikum wird gefragt, wie die Universität die Sicherheit von trans, inter und nonbinären (TIN*) Studierenden gewährleisten wolle. Kerstin Palm vom Institut für Geschichtswissenschaften findet: »Es gibt keine absolute Wahrheit, nur eine zeitgebundene.« Dem widerspricht Vollbrechts Doktorvater Rüdiger Krahe: Bei Vollrechts Vortrag gehe es um die von der Geschlechtsidentität losgelöste biologische Definition von Geschlecht. Palm wiederum kritisiert, dass die Grundlagen der Gender Studies nicht erwähnt worden seien. Von zwei Geschlechtern zu sprechen, sei eine funktional auf Fortpflanzung bezogene Definition.
Die Ministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger (FDP), ist aus dem Urlaub zugeschaltet. Sie selbst unterstütze die Linie der Ampel-Koalition und das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das das Leben von trans- und intersexuellen Menschen erleichtern soll, betont sie. Von dieser inhaltlichen Position trenne sie die Frage der Freiheit der Wissenschaft. Auf die Relevanz der Wissenschaftsfreiheit können sich hier alle einigen. Inhaltlich ist der Abend aber kaum ergiebig, das liegt auch daran, dass Vollbrecht sich den Vorwürfen um angebliche Transfeindlichkeit nicht stellt.
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