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Frühmensch überlebte Beinamputation

Archäologen fanden auf Borneo ein 31 000 Jahre altes Skelett, dem der linke Unterschenkel fehlt – frühester Beleg einer erfolgreichen Operation

  • Barbara Barkhausen
  • Lesedauer: 3 Min.
oben die Knochen des vor 31 000 Jahren amputierten Beins
oben die Knochen des vor 31 000 Jahren amputierten Beins

Im Osten von Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, ist eine Kalksteinhöhle, die sich als wahres Paradies für Archäologen erwiesen hat. Die Höhle namens Liang Tebo ist nicht einfach zu erreichen – zu bestimmten Jahreszeiten beispielsweise gelangt man nur mit dem Boot zu ihr.

In Liang Tebo stießen indonesische und australische Forscher nun auf ein menschliches Skelett, dessen linker Fuß und Unterschenkel fehlten. Das internationale Team machte den Fund bereits 2020, doch die Analyse dazu wurde erst jetzt im Fachmagazin »Nature« veröffentlicht.

Bisher waren Historiker immer davon ausgegangen, dass eine Amputation in früheren Zeiten ein garantiertes Todesurteil war. Doch der Indonesier hat die Operation ganz eindeutig überlebt. Dies konnte die Paläopathologin Melandri Vlok von der University of Sydney nachweisen, da sie bei ihren Untersuchungen Knochenwucherungen fand, die auf einen Heilungsprozess hindeuteten. Der Stumpf ist zudem so glatt, dass das Glied chirurgisch entfernt worden sein muss und die Amputation nicht die Folge eines Unfalls oder eines Tierangriffs gewesen sein kann.

All dies sei eine »große Überraschung« gewesen, meinte die Forscherin. Der prähistorische Mensch – der vor geschätzten 31 000 Jahren lebte – hatte allem Anschein nach »als Kind eine sehr schwere und lebensbedrohliche Operation überlebt«. In der Vergangenheit hatten archäologische Ausgrabungen in Eurasien und Amerika bereits menschliche Knochen freigelegt, die Anzeichen prähistorischer Operationen aufwiesen, darunter Löcher, die in Schädel gebohrt wurden. Der bisher älteste Fund, der eine Amputation aufzeigte, ist das 7000 Jahre alte Skelett eines älteren männlichen Steinzeitbauern aus Frankreich, dessen linker Unterarm sorgfältig knapp oberhalb des Ellbogens amputiert worden war.

Die Entdeckung in Indonesien ist nun nochmals deutlich älter und zeigt, dass Menschen bereits vor mehreren Zehntausend Jahren komplexe medizinische Eingriffe unternommen haben. Laut der Forscher revolutioniert der Fund unser bisheriges Verständnis der Geschichte der Medizin. Denn bisher hatte man angenommen, dass die ersten Fortschritte in diese Richtung erst gegen Ende der Eiszeit stattfanden, als sich der Mensch vom Jäger und Sammler in Richtung Bauer entwickelte. Letzteres führt zu zuvor unbekannten Gesundheitsproblemen, die wiederum Fortschritte in der Medizin stimulierten.

Der neue Fund in Borneo zeige jedoch, dass Menschen bereits die Fähigkeit hatten, kranke oder beschädigte Gliedmaßen erfolgreich zu amputieren, »lange, bevor wir mit der Landwirtschaft und dem Leben in dauerhaften Siedlungen begannen«, wie Maxime Aubert von der australischen Griffith University erklärte. Aubert war einer der Leiter des Rechercheprojekts. Gleichzeitig zeigt der Fund auch, welch kulturell hochentwickelte Lebensweise die Menschen in der Region hatten. Letzteres unterstützen auch andere Funde wie die Höhlenkunst, die auf Borneo und der angrenzenden Insel Sulawesi entdeckt wurde.

Die Forscher sind überzeugt, dass der Chirurg oder die Chirurgin, der/die die Operation vor 31 000 Jahren durchführte, über detaillierte Kenntnisse der Anatomie der Gliedmaßen und des Muskel- und Gefäßsystems verfügt haben muss. Denn es mussten Blutgefäße und Nerven freigelegt und behandelt werden, um tödlichen Blutverlust und Infektionen zu verhindern. Außerdem muss sich auch im Nachhinein jemand intensiv um den Patienten gekümmert haben. Beispielsweise musste die Wunde regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden, um Infektionen vorzubeugen. »Das medizinische Wissen und Können, das diese Amputation demonstriert, steht im Gegensatz zu der Litanei der Schrecken, die Patienten mittelalterlicher Chirurgen in Europa erwartete«, hieß es in der Pressemitteilung der australischen Universität. Die moderne Medizin habe erst nach der Entdeckung von Antiseptika um die Jahrhundertwende einen regelmäßigen Amputationserfolg erzielt.

Dass die prähistorischen Menschen in Indonesien bereits so fortschrittlich waren, könnte laut der Forscher daran liegen, dass Infektionen in tropischen Klimazonen ein größeres Problem darstellen. Letzteres könnte die Jäger und Sammler veranlasst haben, schon früh die »natürliche Apotheke« des Regenwaldes anzuzapfen und nach pflanzlichen Anästhetika, Antiseptika und anderen Wundheilungsbehandlungen gesucht zu haben.

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