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Wenn Naturschützer die Demokratie verachten
Neue Publikation zeigt, dass sich die extrem rechte Szene auch in Sachsen zunehmend für ökologische Fragen interessiert
Natur- und Umweltschutz gelten in der politischen Debatte als »grüne« Angelegenheit, die oft auch mit der entsprechenden Partei assoziiert werden: Wer sich um den Schutz von Libellen oder Mooren kümmert, gilt als Grüner. Björn Höcke hält das für einen »Treppenwitz«: Ausgerechnet diese »Deutschland verachtende« Partei habe das Thema »restlos gekapert«, wettert der Thüringer AfD-Politiker. Umweltthemen, so seine Devise, müssten stärker von Rechtsaußen bedient werden.
Das Projekt läuft. In Dresden wurde im Mai 2020 das Magazin »Die Kehre« gegründet, laut Untertitel eine »Zeitschrift für Naturschutz«. Die 60 bis 80 Seiten starke Hochglanzpostille ist indes nicht grün, sondern braun. Herausgeber ist mit Jonas Schick ein ehemaliger Führungskader der Identitären Bewegung. Es gibt personelle Kontinuitäten zu einer nach 13 Jahren eingestellten Umweltzeitschrift aus dem Umfeld der NPD. Zu den Autoren der »Kehre« gehören AfD-Politiker und Aktivisten der rechtsextremen Bewegung Ein Prozent, aber auch Michael Beleites, DDR-Umweltaktivist, später sächsischer Beauftragter für die Stasiunterlagen und heute Biobauer. Solche Autoren, aber auch das gediegene Äußere und die intellektuelle Sprache sollen breite Leserkreise erschließen helfen.
Die »Kehre« sei Beleg für eine Hinwendung der extremen Rechten zu Umwelt- und Naturschutz, heißt es beim Kulturbüro Sachsen, das sich dem Thema in der eben erschienenen neunten Auflage seiner Publikation »Sachsen rechts unten« widmet. Der Report sieht in der Arbeit des rechten Ökomagazins eine Zäsur. Habe sich die extreme Rechte lange auf einen »Abwehrkampf« gegen das Thema Klimawandel konzentriert, komme es seither zu einer »Neuformierung«, sagt Michael Nattke, Referent des Kulturbüros: »Das eigene ideologische Selbstverständnis soll mit ökologischen Fragen verbunden werden.«
Die grünen Braunen knüpfen dabei, wie in einem historischen Exkurs gezeigt wird, an eine lange Tradition der völkischen Aufladung von Begriffen wie Natur und Heimat an. Aktuell mündet das in eine Strömung, die Nattke als »Öko-Faschismus« bezeichnet. Es handle sich um eine »grün gewaschene Blut-und-Boden-Ideologie«, sagt er und verweist exemplarisch auf Artikel in der »Kehre«, in denen die Abschaffung des Flugverkehrs ebenso propagiert wird wie strikte Bevölkerungskontrolle. Nattke merkt an, dass es in der Rechten auch entgegengesetzte Positionen gebe: einen »Anti-Ökologismus«, der den vom Menschen verursachten Klimawandel bestreitet und in der sächsischen AfD-Fraktion viele Anhänger hat. Zu Zerwürfnissen innerhalb der Szene führe das nicht, sagt Nattke. »Der gemeinsame Hass auf die Grünen, die Medien und das System ist stärker.« Auch ökologisch orientierten Rechtsextremen gehe es letztlich vorrangig um die Abschaffung der Demokratie.
Seinen praktischen Ausdruck findet die neue rechte Hinwendung zu Umwelt und Natur in völkischen Siedlungsprojekten, wie es sie rund um die mittelsächsische Kleinstadt Leisnig gibt, oder in der Hinwendung zu der auf einer esoterisch angehauchten Buchreihe basierenden Anastasia-Bewegung, die in »Familienlandsitzen« das Ideal eines naturnahen Lebens verkörpert sieht und seit 2018 etwa in einem Ortsteil von Görlitz vertreten ist. Sie sei »Humus für völkisches Gedankengut«, sagt Markus Kemper, der sich für »Sachsen rechts unten« mit der Szene befasste.
Daneben aber ist auch ein verstärktes Engagement extrem rechter Akteure in ländlichen Verbänden zu beobachten. Petra Schickert verweist auf Versuche von AfD, Freien Sachsen und der Nazipartei Dritter Weg, Proteste von Bauern gegen die Agrarpolitik von Bund und EU zu unterwandern, und Aktivitäten bekannter Rechter in dem 2019 gegründeten Bauernverband »Land schafft Verbindung«, der Vokabular und Argumentationsmuster der rechten Szene nutzt. Zudem suchten rechte Ökos auch Anschluss an Umweltinitiativen oder Projekte der solidarischen Landwirtschaft. Für diese sei es eine »große Herausforderung«, derlei Annäherungsversuche zu erkennen und sich davon zu distanzieren.
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