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Viel mehr als True Crime
Am 13. Mai 1983 Jahren starben bei einem Brandanschlag in Mailand sechs Menschen. Das war nur eine der Taten der rechtsterroristischen Gruppe Ludwig
Der Rechtsterrorismus der späten siebziger und frühen achtziger Jahre in Italien und Westdeutschland hatte viele Gesichter. Zwei waren zwischen Dezember 1986 und Januar zu 1987 zu besichtigen: Die beiden Männer saßen für die mörderischen Verbrechen der Gruppe Ludwig in erster Instanz in Verona vor Gericht. Dass die vielen unterschiedlichen Akteure von damals uns heute oft nicht bekannt sind, liegt auch daran, dass sie, anders als viele militante linksradikale Aktivisten jener Zeit, nicht in großen, medial begleiteten »Terrorprozessen« vor Gericht gezogen wurden.
Bis heute sind etwa die Bombenanschläge in Italien, die als »Strategie der Spannung« ihren Eingang in die Geschichtsbücher fanden, nie wirklich aufgeklärt worden. Sie begannen in Mailand mit dem Bombenanschlag an der Piazza Fontana, der traurige Höhepunkt war das Bombenattentat auf den Bahnhof von Bologna am 2. August 1980 mit 85 Toten und mehr als 200 Verletzten. Die Opfer waren stets zufällig Anwesende. Dasselbe gilt übrigens für das deutsche Äquivalent, den Bombenanschlag auf das Oktoberfest am 26. September 1980, bei dem 13 Menschen starben und 221 verletzt wurden. Gemeinsam ist diesen Anschlägen wohl eine Verquickung zwischen Geheimdiensten und den faschistischen Tätern, die gerade aufgrund der ausgebliebenen Aufklärung Raum für Spekulationen bietet.
Zwei Rechte aus guten Hause
Anders war es im Fall der beiden damals prominenten Gesichter des rechten Terrors, die in Verona vor Gericht standen, der 28-jährige Münchner Wolfgang Abel und der ein Jahr jüngere Italiener Marco Furlan. Die beiden Mitglieder der Gruppe Ludwig waren »Kinder aus gutem Hause«, die nach dem Studium der Physik und der Mathematik mit Auszeichnung ins Berufsleben eingestiegen waren und vor der Promotion standen. Sie entstammten der gut situierten Stadtgesellschaft Veronas; Abel war in seiner Kindheit mit seinem Vater nach Verona gezogen. Diese Stadt im Norden Italiens hat bis heute eine florierende extrem rechte Zivilgesellschaft, die vom Bürgertum bis zu den Ultras des Fußballvereins Hellas Verona reicht. Faschistische Aktivitäten lassen sich von den Anfängen des italienischen Faschismus um 1919 bis heute nachzeichnen, auch der extrem konservative Katholizismus ist in der Region stark.
Der Italien-Korrespondent der TAZ in den achtziger Jahren, Werner Raith, beschrieb Abel und Furlan als »bubenhaft wirkende« Jungs, während Furlan laut einer Nachbarin »vor allem durch gute Manieren, Hilfsbereitschaft, Ruhe« auffiel. Was Abel und Furlan vorgeworfen wurde und wofür sie zum Teil auch verurteilt wurden, ist indes das Gegenteil von »guten Manieren«: Als Gruppe Ludwig begingen sie neun Mord- und Brandanschläge in verschiedenen Städten Norditaliens und in München. Fünfzehn Menschen starben.
Nach unten treten
Die Morde waren brutal ausgeführte Taten, bei denen es sich weder um ein Töten im Affekt noch um das planvolle Ausschalten politischer Gegner handelte, sondern um das öffentliche Zelebrieren eines archaischen Strafens für vermeintlich »unmoralische Lebensweisen«. In Padua wurde der homosexuelle Kellner Luciano Stefanato am 19. Dezember 1978 mit 20 Messerstichen niedergemetzelt, das Küchenmesser im Genick stecken gelassen. In Venedig wird der 22-jährige homosexuelle Claudio Costa am 12. Dezember 1979 mit 34 Messerstichen ermordet. Am Tatort blieb eine Brille zurück, die später mit hoher Wahrscheinlichkeit Abel zugeordnet werden konnte. Am 20. Dezember 1980 wurde die 51jährige Sexarbeiterin Maria Beretta mit einem Hammer erschlagen, im Anschluss wird die Leiche mit einem Beil zerteilt. Einem »gefallenen Priester« wird, nachdem er erschlagen wurde, ein Holzkeil mit einem Kruzifix ins Genick getrieben. Bei mehreren anderen Taten wurden die Opfer bei lebendigem Leib verbrannt.
Der TAZ-Korrespondent Raith fährt für die Berichterstattung nach Verona. In seinem Artikel beschreibt er eine Stadt, deren Bewohner*innen es nicht glauben wollen, dass die Täter Kinder Veronas waren und die vor allem um ihr eigenes Image besorgt ist. Anstelle von Mitgefühl mit den Opfern, die auch von der Bevölkerung als Außenseiter*innen wahrgenommen werden, wird der Mutter des Täters Empathie entgegengebracht: »Die arme Mutter – die hat es nicht verdient.« Nachfrage des Journalisten: »Was?« Antwort: »Dass sie ihren Jungen so lange ins Gefängnis stecken.«
Terrormittel Brandanschlag
Am 14. Mai 2023 jährte sich der blutigste Anschlag der Gruppe Ludwig, ein Brandanschlag in Mailand mit sechs Toten, zum vierzigsten Mal. Zwei Männer entzündeten damals zwanzig Liter Benzin in einem mit dreißig Personen besetzten Pornokino. Sechs Männer starben. »Eine Todesschwadron hat die Männer ohne Ehre hingerichtet«, schrieb die Gruppe Ludwig in einem Bekennerbrief an die Nachrichtenagentur Ansa und übernahm damit »die Verantwortung für den Scheiterhaufen der Schwänze«. Ein Dreivierteljahr später bekam Ansa noch einmal Post von der Gruppe Ludwig: Diesmal rühmte sie sich des Flammen-Attentats vom 7. Januar 1984 auf die Münchner Diskothek Liverpool. Im Liverpool, höhnten die Absender in Runenschrift, »wird jetzt nicht mehr gefickt«. Während die 25 Disko-Gäste einen Pornofilm schauten, leerten die Täter einen Benzinkanister auf der Eingangstreppe aus und zündeten ihn an, wie Der Spiegel in einem längeren Artikel über die Gruppe Ludwig im Juni 1984 berichtete. In den Flammen stirbt Corinna Tartarotti, die im Liverpool arbeitete. Sie wurde zwanzig Jahre alt.
Gefasst wurden die beiden Männer zwei Monate nach dem Brandanschlag auf das Liverpool, als sie am 4. März 1984 versuchten, in einer Kleinstadt am Gardasee eine Diskothek in Brand zu setzen, in der eine Karnevalsfeier mit 400 Gästen stattfand. Sie wurden in flagranti erwischt und fast von der Menge gelyncht, bevor die Carabinieri sie festnahmen. Abel war eigens für die Tat nach Norditalien gereist.
Bei der politischen Einordnung der Gruppe Ludwig zeigten sich zeitgenössische deutsche Zeitungsartikel, abgesehen von der TAZ-Berichterstattung durch Werner Raith, uninformiert und vage. Sie versuchten, die rechte Symbolik der Gruppe zu deuten – ein wirrer Mix aus Hakenkreuz, Runenschrift, dem Namen Ludwig, katholischen Moralvorstellungen und dem Kruzifix – anstatt sich mit den Opfern zu befassen und deren stigmatisierten sozialen Status im Norditalien der späten siebziger und frühen achtziger Jahre kritisch zu hinterfragen. Das tat hingegen Raith, etwa indem er ein Gespräch mit einem Veronesen protokollierte, der »es so abwegig auch wieder nicht findet, wenn es einer auf die abgesehen hat.« Wer mit »die« gemeint sei: »Naja, das mit den Homos, den Nutten, den Pfaffen«.
Kontinuitäten und Unterschiede
Auf die Frage, ob es sich bei Gruppe Ludwig um einen christlich-fundamentalistisch motivierten Terrorismus gehandelt hatte, wie er heute wieder in vielen Regionen der Welt etwa von Evangelikalen ausgeübt wird, erklärt Rechtsterrorismus-Expertin Eike Sanders gegenüber dem Neuen Deutschland, sie »halte es für irreführend, die Gruppe Ludwig primär als christlich-fundamentalistisch einzuordnen. Furlan, Abel und ihr politisches Umfeld sind viel eher direkt von Julius Evola beeinflusst, also von Ideen, die ganz andere religiöse Versatzstücke, Anti-Universalismus und Hass auf die moderne Welt zu einem spezifischen esoterischen Faschismus kombinieren.« Sicher gäbe es für sie alle eine göttliche Autorität beziehungsweise eine nicht verhandelbare göttliche Ordnung, die sie versuchen würden, mit Gewalt wiederherzustellen und durchzusetzen. Sie seien bereit, alle Menschen, die ihnen dabei praktisch oder symbolisch im Wege stehen, zu bestrafen und zu vernichten. Darin habe der Kampf um die »richtige« Geschlechterordnung immer einen zentralen Stellenwert, was wiederum Antifeminismus und männliche Allmachtsfantasien beinhalte.
Auf den ersten Blick stellen sich die Taten der Gruppe Ludwig dar wie eine typische True-Crime-Story: Eine Serie grausamer Morde von zwei Sonderlingen, die sich für rechtsextreme und katholische Schriften sowie Mittelalterliteratur interessieren, anstatt beispielsweise gleichaltrige Mädchen auszuführen. Jenseits eines schauerlichen Unterhaltungswertes besteht indes die eigentliche Aufgabe wie auch im Fall des NSU darin, nach Mittätern und Hintermännern zu suchen und die Mordserie in das gesellschaftliche Klima der Zeit und insbesondere der »Bleiernen Jahre« der 1970er einzuordnen. Vor allem aber sollten die rechte Ideologie und ihre gesellschaftliche Wirkungsmacht analysiert werden, die diese Taten motiviert und sich in ihnen manifestiert haben.
Für die heutige Rechtsextremismusforschung wäre es etwa interessant, zu untersuchen, ob der norwegische Massenmörder Anders Breivik oder die gewalttätigen Invcels eine Art Wiedergänger der rechten Gewalttäter der 1980er Jahre sind? War Literatur über das Mittelalter und den Katholizismus für die Gruppe Ludwig das, was heute die Gaming-Kultur des Internets für Täter wie Breivik oder den Attentäter von Halle ist? Geht es hier wie dort um ein Berauschen an faschistischer männlicher Gewalt gegen all das, was die Identität, Reinheit und Souveränität von Volk und Kultur vermeintlich bedroht und zersetzt? Solche Fragen müssen geklärt werden, wenn es darum gehen soll, rechte Morde und andere Gewalttaten in Zukunft zu verhindern.
Eine Veranstaltung zum Thema »Gruppe Ludwig – deutsch-italienischer Rechtsterrorismus auf dem Kreuzzug gegen ›Sittenverfall‹« findet am 17. Mai um 19 Uhr in der Hellen Panke, Kopenhagener Straße 9, 10437 Berlin statt. Referentin ist die Rechtsextremismusforscherin Eike Sanders. Fabian Kunow ist Mitarbeiter beim Berliner Bildungsverein »Helle Panke e. V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin« und verantwortet dort unter anderem die Veranstaltungsreihe zur extremen Rechten.
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