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Bahnstrecke Lyon-Turin: Megaprojekt aus einer vergangenen Ära

Protestaktionen in Frankreich gegen Alpentunnel auf der geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecke Lyon-Turin

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei Protestaktionen gegen den Bau eines neuen Alpentunnels ist es am Wochenende nahe dem französischen Grenzort Saint-Jean-de-Maurienne zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Dabei seien sieben Angehörige der Ordnungskräfte und ein Demonstrant leicht verletzt worden, erklärte die Präfektur, die die Protestaktion zuvor verboten hatte. Da die Polizisten die Demonstranten bereits 25 Kilometer vor der Baustelle in der Nähe des Dorfes Saint-Rémy-de-Maurienne stoppten, wichen diese seitlich aus, durchwateten einen kleinen Fluss und besetzten eine parallel dazu verlaufende Bahnstrecke und eine Autobahn. Dadurch wurde der Verkehr für Stunden blockiert oder behindert. An den Aktionen nahmen nach Angaben der Organisatoren trotz des Versammlungsverbots rund 5000 Umweltaktivisten aus ganz Frankreich sowie den Nachbarländern Italien und Schweiz teil. Ihnen standen 2000 Polizisten gegenüber, die außerdem mehr als 100 angereiste Italiener an der Grenze stoppten und zurückwiesen.

Der Protest richtet sich gegen den Bau des 57 Kilometer langen Mont-Cenis-Basistunnels auf der geplanten französisch-italienischen Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke Lyon-Turin. Durch das gigantische Projekt soll sich die Fahrtdauer von derzeit vier auf künftig zwei Stunden verkürzen. Bei dem rekordlangen Alpentunnel liegen 45 Kilometer in Frankreich und zwölf Kilometer in Italien. Befürworter argumentieren damit, dass der neue Tunnel auch einen Teil des Gütertransports von der Straße auf die Schiene umlenken werde. Von den drei Millionen Lkw, die jährlich die Alpen zwischen Frankreich und Italien durchqueren, sollen später einmal 700 000 die Bahn nehmen.

Für die Umweltverbände und die Partei der Grünen ist das eine reine Schutzbehauptung. Es gebe seit mehr als 15 Jahren einen Pendelzugverkehr für Lkw zwischen den Terminals Aiton im Arrondissement Saint-Jean-de-Maurienne und Orbassano bei Turin durch einen kleineren Alpentunnel. Doch die Kapazität dieser eigens für den Frachtverkehr ausgebauten Strecke wird bisher nur zu 20 bis 25 Prozent genutzt. Wenn man sie dafür besser auslasten und außerdem beim Fahrgastverkehr hier auf Hochgeschwindigkeit verzichten würde, wäre der neue Basistunnel gar nicht nötig. Die Umweltverbände weisen darauf hin, dass mitsamt der Paralleltunnel und Querverbindungen, die für den Unterhalt des Bahnbetriebs und für Notfälle erforderlich seien, insgesamt 260 Kilometer an Stollen durch den Fels geschlagen werden müssten. Zu befürchten seien dadurch dauerhafte Schäden für die Landschaft, die Artenvielfalt und auch für die Wasservorkommen. Die gigantischen Bohrarbeiten würden zahlreiche Quellen und natürliche Grundwasserspeicher in Mitleidenschaft ziehen, die umgeleitet oder kanalisiert werden müssten.

Für Kritiker wie Philippe Delhomme von der örtlichen Protestvereinigung Vivre et agir en Maurienne ist das insgesamt 26 Milliarden Euro teure Bahnvorhaben, das zu 40 Prozent durch die EU finanziert wird und an dem bis zu 1000 Menschen arbeiten, völlig überdimensioniert. Dies haben ihm zufolge mehrere wissenschaftliche Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis ergeben. »Das ist ein ehrgeiziges Projekt, das aus einer längst vergangenen Ära stammt und nicht mehr in unsere Zeit passt, denn es ist ökologisch verheerend und wirtschaftlich unsinnig«, so Delhomme. Tatsächlich wurden die Pläne für den Tunnel bereits vor 40 Jahren entworfen, an ihm wird seit 1992 gebaut und er soll 2032 fertig sein. Doch rentabel dürfte er, wenn überhaupt, nicht vor 2057 sein.

Der Protestaktion der Umweltschützer stand eine kleine Gegendemonstration von Lokalpolitikern gegenüber. »Wir sind für den Tunnel, von dem wir uns eine Entlastung eines Teils des Lkw-Verkehrs versprechen«, sagte Philippe Rollet, parteiloser Bürgermeister von Saint-Jean-de-Maurienne. »Die verstopfen das ganze Jahr unser Straßennetz.« Die Abgase, die insbesondere in den windstillen Wintermonaten die Atemluft belasteten, seien für die Menschen hier und vor allem die Kinder »in starkem Maße gesundheitsschädigend«.

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