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Cum-Ex-Prozess mit Promi-Zeugen
Das Verfahren gegen den Warburg-Bankier Christian Olearius verspricht besondere Brisanz
Am Landgericht Bonn läuft seit einer Woche der erste Cum-Ex-Prozess gegen einen Spitzenfinanzmanager. An den ersten Tagen verlasen zwei Staatsanwälte stundenlang die 371 Seiten starke Anklageschrift. Die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Köln wirft dem Gesellschafter der Hamburger Privatbank M.M.Warburg, Christian Olearius, besonders schwere Steuerhinterziehung in 15 Fällen vor. Er soll bei Cum-Ex-Deals »in alle Planungen eingebunden gewesen sein und die maßgeblichen Entscheidungen getroffen haben«, so die Anklage, die den Steuerschaden auf knapp 280 Millionen Euro beziffert. Dem Bankier drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Das Verfahren ist noch durch einen anderen Aspekt brisant: Beobachter erwarten, dass Bundeskanzler Olaf Scholz demnächst als Zeuge vor die 13. Strafkammer nach Bonn geladen wird. Als Hamburger Bürgermeister hatte er 2016 und 2017 mehrfach Olearius und einen weiteren Warburg-Gesellschafter getroffen. An die Details mag sich der SPD-Politiker nicht recht erinnern. »Es ging (Olearius) darum, drohende Steuerrückzahlungen durch Druck auf politische Entscheidungsträger abzuwenden«, meint dagegen die Staatsanwaltschaft. Was damals im Rathaus wirklich besprochen wurde, versucht seit über zwei Jahren ein Untersuchungsausschuss in der Bürgerschaft herauszufinden. Die Union will außerdem im Bundestag einen solchen Ausschuss durchsetzen. »Der Bundeskanzler sitzt mit Herrn Olearius symbolisch mit auf der Anklagebank«, ist der ehemalige Linke-Politiker Fabio de Masi von der Initiative Finanzwende überzeugt. 27 Mal tauche Scholz’ Name in der Anklageschrift auf.
Bundesweit laufen mehr als 100 Verfahren gegen über 1500 Beschuldigte wegen Cum-Ex – Aktienkreisgeschäfte mit dem Ziel, sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividenden mehrfach vom Fiskus erstatten zu lassen. Die vier Verteidiger, angeführt vom ehemaligen CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler, plädieren auf Freispruch. Olearius habe sich auf die Prüfung durch seine Fachabteilungen verlassen, heißt es. Gauweiler vertrat in seiner ebenfalls stundenlangen Eröffnungsrede zudem die Ansicht, dass der Anklage jegliche Glaubwürdigkeit fehle. »Das Land NRW klagt Taten an, die es selbst begangen hat.« So würden Cum-Ex-Geschäfte der früheren Landesbank WestLB bisher nicht strafrechtlich verfolgt.
Die hiesigen Verfahren richten sich gegen Finanzdienstleister und Anwälte, die Provisionen für Cum-Ex-Deals kassierten, bei denen oft Investoren im Ausland Hauptnutznießer waren. Die Möglichkeit der Produktion doppelter Steuerbescheinigungen war zwar schon lange bekannt, aber erst 2011 unter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) »technisch unmöglich« gemacht worden, so die Einschätzung von Finanzwende. Cum-Ex lief allerdings in weiterentwickelter Form offenbar weiter, wofür das Olearius-Verfahren spricht. Die Anklage bezieht sich nämlich auf Vorgänge zwischen 2006 und Ende 2019. Daher blicken auch Juristen und Ökonomen mit Spannung auf den Prozess.
Nachdem die Frontlinien zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der ersten Verhandlungswoche gezogen wurden, beginnt ab Montag die Kärrnerarbeit. Die Wirtschaftsstrafkammer hat zunächst mehr als zwei Dutzend Fortsetzungstermine bis März 2024 angesetzt.
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