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Glückssträhne unwahrscheinlich
Zweimal Niete, einmal Hauptgewinn: Tatjana Gürbaca inszeniert »Il Trittico« an der Wiener Staatsoper
Drei zusammengeheftete Einakter – dramatisch: »Il Tabarro« (Der Mantel), ein Eifersuchtsmord in trister Hafenszene; erschütternd: »Suor Angelica«, das Schicksal einer im Kloster suizidal verkümmerten jungen Mutter; allzu menschlich: »Gianni Schicchi«, ein slapstickartiger Einblick in die Scheinheiligkeit einer erbenden Familie. Spätwerke des Komponisten Giacomo Puccini werden im Vorfeld des Gedenkjahres 2024 zu seinem 100. zur Spielzeiteröffnung der Wiener Staatsoper in einer Neuinszenierung unter der Regie der Berlinerin Tatjana Gürbaca gegeben.
Während der Kahn wegen eines schier endlosen Verladezyklus an einem Pariser Vorstadtkai vor Anker liegt, kratzen Boss, Wein, schlüpfrige Gedanken düstere Motivierungsschübe aus den Köpfen der Besatzung. Neblig und schwankend setzt das Orchester zum Vorspiel an, durch Autohupen und Schiffssirenen veristisch in das Gewusel der Frachter versetzt, vom Musikdirektor der Staatsoper Philippe Jordan an der unheimlichen Schwelle von Abschied und Aufbruch festgehalten.
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Die Untergangsatmosphäre wird verstärkt durch das gegenstandslose, dunkle Bühnenbild von Henrik Ahr. Dessen zentrales Element ist die vom Schnürboden herabhängende Leuchtschrift »Schwer Glücklich Sein«, ein Schlüsselsatz in »Il Tabarro«. Schuftende in Gelbwesten, deren revolutionäre Energien verzecht sind, schlafwandeln im Hintergrund. Nur an einer Stelle versprüht eine Karnevalstruppe Fröhlichkeit, kurzfristig kommen Ruhestandspläne und Kleingartensehnsucht unter den Hafenarbeiter*innen auf.
Giorgetta, seit dem Verlust ihres Kindes schlaflos, und Michele, Kindesvater und Schiffseigentümer, sind sich fremd geworden. Das logistische Tagesgeschäft verträgt sich mit der Wunscherfüllung nicht. Der Eindruck ihrer Distanz zueinander wächst durch die fast statische Personenführung an der Rampe, keine Geste erinnert an Leidenschaft. Nähe findet Giorgetta bei Luigi, Mitarbeiter des Familienunternehmens. Der besucht sie nachts.
Zufällig entdeckt Michele ein entflammtes Streichholz, Giorgettas Signal einer sturmfreien Kajüte an Luigi. Er ringt den nächtlichen Gast nieder, zwingt ihn zum Liebesgeständnis und sticht zu. Von dem mittlerweile Toten versetzt, blickt sich Giorgetta suchend um, findet stattdessen ihren Mann, der ihr mit stolzer Geste sein unter dem Mantel verstecktes Mordopfer zur Schau stellt. Ein Schrei folgt. Spielerisch unzusammenhängend schlitzt sich Michele auch noch die Kehle durch.
Im zweiten Teil verringert sich die den Abend zusammenschusternde Leuchtschrift auf »Sein«. Die wegen eines unehelich geborenen Kindes von der eigenen adeligen Familie in ein Kloster verschleppte Angelica ist ihrem Leben gegenüber entfremdet. Gräuliche Schürzen und reinweiße Hauben der Nonnen unterstreichen den Verlust individueller Lebensgestaltung. Zaghaft erfindet sich Angelica in der Rolle der Salbenmacherin neu. Durch eine prächtige Kutsche plötzlich in allgemeine Heiterkeit versetzt, hüpfen die Novizinnen belustigt durcheinander. Das Gefährt verspricht Besuch!
Angelica trifft auf ihre Tante, die Fürstin: Sie soll zugunsten ihrer jüngeren Schwester auf das üppige Erbe verzichten. Nur auf sehnsuchtsvolle Nachfrage berichtet die Tante vom krankheitsbedingten Tod des Sohnes von Angelica. Sie erlischt innerlich und mischt sich Gift. An dieser Stelle der Inszenierung verdunkelt sich die abgehängte Reklametafel »Sein« treu katholisch und erstrahlt erst nach dem Gnadengesang gegen die bei Suizid anstehende Höllenfahrt Angelicas an Gottesmutter Maria wieder – ein allzu christlicher Regieeinfall.
Für das dritte, lustige Stück erstrahlt das Wort »Glück« im Palazzo des soeben im Spaghettiteller zur Mussolini-Rede aus dem Radio verendeten Buoso Donati. Noch vor der Leichenstarre erfährt die intrigante Trauergemeinde, dass dieser einen fresssüchtigen Mönchsorden als Alleinerbe eingesetzt hat. Während turbulenter Unmutsbekundungen schickt der junge Rinuccio nach seinem Schwiegervater in spe, dem schlauen Bauern Gianni Schicchi. Der kommt auf die Idee, sich als Stimmenimitator des Verstorbenen gegenüber Arzt und Notar zu versuchen und diesen ein frisches Testament zu erklären. Die Vertretung des Buoso gelingt, indem die Familie den Leichnam tollpatschig einer Marionette ähnlich zum Diktat bewegt.
Zunächst scheinen alle Erben zufrieden. Doch dann versorgt sich Gianni Schicchi unter lautem Missmut selbst mit den Filetstücken des Erbes, freilich im Interesse seiner Tochter Lauretta und ihres Rinuccio. Als Testamentsfälscher fährt er selbst in die Unterwelt.
Die geldgierige Familienaufstellung zum Schluss dieses Abends überzeugt mit albernen Kostümen, einem LED-Scheinheiligenschein, Konfettikanonen und der sich aus heftig streitenden Knäueln lösenden Rollen. Grandios singen und spielen in der letzten und besten dieser drei »Trittico«-Opern Ambrogio Maestri als Gianni Schicchi, Serena Sáenz als Lauretta und Bogdan Volkov als Rinuccio.
Nächste Vorstellungen: 20.10., 23.10., 14.1.
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