nd-aktuell.de / 21.12.2023 / Gesund leben / Seite 1

Longevità-Diät: Richtig essen, ewig jung?

Die Formel einer lebensverlängernden Ernährung wird schon lange gesucht. So schwierig ist sie nicht

Angela Stoll
In der japanischen Provinz Okinawa werden die Leute besonders alt, was auch an der Ernährung liegt.
In der japanischen Provinz Okinawa werden die Leute besonders alt, was auch an der Ernährung liegt.

Cola, Kaffee und Schokolade: Diese drei Dinge, verriet die hochbetagte Japanerin Kane Tanaka, seien ihre große Leidenschaft. Die Greisin starb 2022 im Alter von 119 Jahren. Auch die Geheimnisse anderer »Supercentenarians« klingen manchmal durchaus überraschend: Die Französin Jeanne Calment, die es sogar auf 122 Jahre brachte, rauchte bis ins hohe Alter und hatte eine Schwäche für Portwein. Spezielle Vorlieben hatte auch Emma Morano aus Norditalien, die mit 117 starb: Sie aß täglich zwei rohe Eier, dazu gerne Löffelbiskuits.

Diese Einzelfälle sind allerdings kein Beweis dafür, dass Limonade, Süßkram und Alkoholisches eine lebensverlängernde Wirkung haben. Auch der notorische Raucher Helmut Schmidt wurde 96 Jahre alt – Zigaretten sind trotzdem ungesund. Dennoch lässt sich an den Lebensgewohnheiten uralter Menschen insgesamt studieren, wie die Formel für ein gesundes, langes Leben aussehen könnte.

Seit ein paar Jahren interessieren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die sogenannten »Blue Zones« – das sind Regionen, in denen Menschen überdurchschnittlich lange und gesund leben. Der Name kommt daher, dass Forscher die Zonen ursprünglich mit einem blauen Stift auf der Landkarte markierten. Zu diesen Paradiesen gehören Sardinien, die Präfektur Okinawa in Japan, die Nikoya-Halbinsel in Costa Rica, die griechische Insel Ikaria und die Kleinstadt Loma Linda in Kalifornien.

Demografen entdeckten beim Vergleich des Lebensstils der Bewohner mehrere Gemeinsamkeiten: »Er ist geprägt von harter körperlicher Arbeit und einer eher kargen, überwiegend pflanzlichen Ernährung«, sagt Gunter Eckert, Professor für Ernährung in Prävention und Therapie an der Universität Gießen. »Tatsächlich kann die richtige Ernährung zusammen mit weiteren Lebensstilfaktoren den Alterungsprozess bremsen.« Ein Forscherteam der Uni Bergen in Norwegen errechnete, dass 20-Jährige, die von einem typisch westlichen Ernährungsstil auf optimale Ernährungsgewohnheiten umstiegen, ihr Leben um zehn Jahre und mehr verlängern können. Selbst 80-Jährige konnten durch eine Umstellung noch um die drei Jahre dazugewinnen.

Aber was ist schon »optimal«? Kurz gesagt, bedeutet das für die meisten Experten: Viel Gemüse, Salat, Obst, Nüsse, Hülsenfrüchte, vollwertige Kohlenhydrate und gesunde Öle – das alles möglichst abwechslungsreich kombiniert, in guter Qualität und frisch zubereitet. Das ist auch die Basis der vielgepriesenen mediterranen Ernährung und ihrer Varianten – etwa der DASH-Diät. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der »diätetische Ansatz zum Stopp von Bluthochdruck«.

»Studien haben gezeigt, dass eine vegetarische Ernährung entzündungshemmende Effekte hat und sich positiv auf die metabolische Gesundheit auswirkt«, sagt die Altersforscherin Catrin Herpich vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Das heißt, dass Menschen, die sich pflanzlich ernähren, seltener Übergewicht und zugleich ein geringeres Risiko für Diabetes, Fettstoffwechselstörungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. All dies sind wichtige Voraussetzungen, um lange und gesund zu leben.

Umstritten ist allerdings, ob auch tierische Produkte dabei sein dürfen oder gar sollen. Der italienische Altersforscher Valter Longo, der die »Longevità-Diät« entwickelte, empfiehlt etwas Fisch, aber kein Fleisch – wenn doch, dann höchstens weißes (also etwa Hähnchen). Eckert ist da großzügiger: »Ein-, zweimal Fleisch pro Woche ist in Ordnung, wenn es qualitativ hochwertig ist. Es ist eine hervorragende Eisenquelle. Bedenklich ist es nur, wenn man sehr viel davon isst. Sehr zurückhaltend bin ich bei Wurstwaren, vor allem, wenn sie Nitritpökelsalz enthalten.«

Low-Carb- und High-Protein-Diäten sind für Anti-Aging-Zwecke offenbar ungeeignet. Valter Longo zumindest setzt auf das Gegenteil: nämlich auf reichlich komplexe Kohlenhydrate und wenig, aber ausreichend Proteine. Mäuse, die nach diesem Prinzip ernährt wurden, lebten länger als Artgenossen, die viele Proteine, aber wenig Kohlenhydrate bekamen. Auch Herpich findet, dass die Empfehlung ihre Berechtigung hat: »Studien weisen darauf hin, dass eine Reduktion bestimmter Aminosäuren, zum Beispiel Methionin, lebensverlängernd wirkt.«

Methionin, wie andere Aminosäuren ein Baustein von Proteinen, kommt vor allem in Fleisch vor. Auch dies spricht dafür, dass Pflanzenkost eher das Leben verlängert. Allerdings gelten Ernährungsempfehlungen nie pauschal. Menschen ab 65 Jahren profitieren nämlich nicht mehr von einer proteinarmen Ernährung, im Gegenteil: Sie haben einen leicht erhöhten Bedarf, da ihr Körper diese Nährstoffe nicht mehr so gut verarbeiten kann.

Ansonsten werden Blaubeeren, Nüsse, Knoblauch, Süßkartoffeln, Rote Bete, Grüner Tee, dunkle Schokolade und vieles mehr gern als Super-Foods gehandelt, die auch beim Jungbleiben helfen. Sie enthalten reichlich Polyphenole, die zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmten Krebsarten und wahrscheinlich auch Demenz beitragen können. Tatsächlich ist recht gut belegt, dass etwa Rote Bete den Blutdruck und Walnüsse den LDL-Cholesterinwert senken. Einzelne Lebensmittel ausloben möchten Experten wie Eckert aber nicht: »Das ist wie bei einem Orchester: Die Mischung macht’s.«

Als Anti-Aging-Wundermittel ist in jüngster Zeit Spermidin in den Fokus gerückt. Die Substanz, die im menschlichen Körper, aber auch in vielen Lebensmitteln vorkommt, aktiviert die Autophagie – eine Art Recycling- und Selbstreinigungsprogramm der Zellen. »In Tiermodellen konnte man eine lebensverlängernde Wirkung von Spermidin sehen«, sagt Eckert. Ob das auch für den Menschen gilt, ist noch unklar. Derzeit untersucht eine Studie am DIfE, ob sich bei Teilnehmern, die Spermidin-Nahrungsergänzungsmittel nehmen, Entzündungsprozesse reduzieren – Ergebnisse liegen aber noch nicht vor.

Wer sich ausgewogen ernährt, braucht solche Mittel ohnehin nicht, meint DIfE-Expertin Herpich: »Dann nimmt man sowieso ausreichend Spermidin zu sich.« Zum Beispiel enthalten Erbsen, Pilze, Sojabohnen, Kichererbsen, Weizenkeime und reifer Käse besonders viel von dieser Substanz.

Wichtig ist aber nicht nur, was wir essen, sondern auch, was wir nicht essen. »Fasten kann das Altern verlangsamen«, sagt Eckert. Ähnlich wie Spermidin bringt Nährstoffmangel die Autophagie in Gang, durch die sich Zellen sozusagen selbst reparieren. Ob dabei klassisches Heilfasten, Intervallfasten oder andere Fasten-Konzepte am sinnvollsten sind, muss jeder für sich herausfinden.

Eckert zum Beispiel ernährt sich nach der leicht umsetzbaren 16:8-Methode – er isst also nur innerhalb von acht Stunden. Ausnahmen dürfen sein: »Zu streng sollte man nicht mit sich sein. Essen hat auch viel mit Genuss und Zufriedenheit zu tun«, betont er. Nicht jeder hat genügend Disziplin, es den betagten Bewohnern der »Blauen Zone« Okinawa gleichzutun: Gemäß der konfuzianischen Anweisung »Hara Hachi Bu« hören sie auf zu essen, wenn ihr Magen zu 80 Prozent gefüllt ist. Offenbar ein einfaches Rezept für ein langes Leben.