Geschlecht: Jacke wie Hose - Transsexualität in Japan

In Japan wächst der Widerstand gegen Schuluniformen. Insbesondere trans Kinder leiden unter dem Kleidungszwang

Eine Schuluniform suggeriert Gleichheit, wo keine ist.
Eine Schuluniform suggeriert Gleichheit, wo keine ist.

Das Wort »Feminist*in« war für Yutori Takai sehr lange ein Schimpfwort. »Ich komme aus einer ländlichen, konservativen Gegend in Japan, aus der Präfektur Gunma. Dort sollen Männer Männer und Frauen Frauen sein.« Entsprechend sei über Feminist*innen nur abfällig gesprochen worden, erklärt Takai. Takai ist Mitte 30 und nutzt auf Englisch die Pronomen they/them. Auf Japanisch ist das singuläre Pronomen nicht zwingend notwendig – weshalb es Takai bevorzugt, gar keins zu nutzen. Als Takai früher in der Gastronomie arbeitete, benutzte Takai für sich das singuläre Pronomen »watashi«. »Sie haben mich bei meinem Job damit aufgezogen. Mein Spitzname war watashi.«

Während viele europäische Sprachen lediglich eine Version des Personalpronomens in der 1. Person haben – auf Deutsch »ich«, auf Englisch »I« –, bietet die japanische Sprache gleich ein Silbertablett voller Optionen. Am häufigsten genutzte Personalpronomen sind »watashi« (meist von Frauen genutzt, in der Höflichkeitsform geschlechtsneutral), »boku« (meist von Männern genutzt, in lyrischen oder infantilen Kontexten auch von Frauen verwendet) und »ore« (hauptsächlich von Männern genutzt, insbesondere zum Ausdruck von Arroganz oder Dominanz). Da also die meisten Personalpronomen einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden, quälen sich trans Menschen, insbesondere trans Kinder damit, ihr eigentlich präferiertes Personalpronomen zu nutzen.

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»Ich habe mich immer bemüht, mich vor meinen Klassenkameraden als ›ore‹ zu bezeichnen«, erklärt Takai, mittlerweile Philosophieprofessor*in an der Gunma-Universität. »In ihrer Abwesenheit habe ich dann aber ›watashi‹ benutzt.« 

Als Kind und junge*r Erwachsene*r habe Takai viel mit sich gerungen, um sich irgendwie an die Schulklasse, Familie und an die japanische Gesellschaft anzupassen. Erst als Takai an der Universität auf die Professorin Yuriko Ino traf, veränderte sich Takais Weltbild. »Sie war unglaublich cool, sie wusste so viel. Und durch den Feminismus, den sie mir näherbrachte, lernte ich, dass ich das Konzept des binären Geschlechts hinterfragen kann«, schwärmt Takei.

Fortan las Takai viel, insbesondere über radikalen Feminismus und Gender. Takei erzählt, dass Takei »als Junge geboren« wurde, und Geschlecht stets als etwas Lästiges empfunden habe. »Ich habe mich immer gefragt, was Geschlecht überhaupt soll, warum die Erfahrungen so schmerzlich sind und warum ich dazu gezwungen werde, es auszuleben.«

Die japanische Gesellschaft ist voller binärer Geschlechtertrennung. Während in Deutschland vor allem Spielzeuge in Pink und Blau verkauft werden, geht Japan einen Schritt weiter und unterscheidet landesweit auch die Schulkleidung nach Geschlecht: Jungs haben Hosen, Mädchen Röcke zu tragen. Eigene Kleidung oder die Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen, wird den Kindern meist untersagt, selbst wenn das Outfit nicht mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt. Wehren sich Kinder dagegen, werden sie von Lehrkräften bestraft – meist in Form von Isolation und Bloßstellung. 

Um Bestrafung durch Schulkräfte und Mobbing durch Mitschüler zu vermeiden, achtete Takai stets auf die eigene Sprache, Haltung und Gestik. Denn wenn sich Takai so bewegte, wie Takai sich wohlfühlte, wurde das als »zu weiblich« kritisiert. Familiäre Unterstützung gab es nicht: »Meine Eltern waren sehr konservativ. Ich denke, sie waren genervt davon, dass ihr Sohn nicht männlich genug war.« 

Die radikale Geschlechtertrennung und der Anpassungszwang waren so stark, dass Takai mehrmals über Suizid nachdachte. Dass Takai die Qual dennoch irgendwie aushielt, lag an Takais Überzeugung, dass Takai mit dem Leid nicht alleine war. Zu der Zeit glaubte Takai, alle Kinder müssten dasselbe Leid ertragen wie Takai selbst. »Ich hatte nicht die Vorstellung, dass ich so anders sein könnte als alle anderen. Und ich dachte: Wenn alle anderen diese Todesqual aushalten können, dann schaffe ich es auch.« 

Mittlerweile hat sich Takais Leid einigermaßen gelegt. Takei ist einigermaßen zufrieden mit der eigenen Identität. Nach jahrelangem Überlegen, Ausprobieren und Hin- und Herwechseln, ob Takei als Frau leben möchte, kam Takei zum Entschluss, dass Frausein auch nicht das Richtige war. An der Universität, an der Takai als Philosophieprofessor*in lehrt, hat sich Takei als nichtbinär geoutet. Die Akzeptanz am Arbeitsplatz erleichtert den Alltag. Takais Eltern hingegen wissen nichts von der Identität ihres Kindes.

»Mein Vater denkt vermutlich, dass sein Sohn sich die Haare lang wachsen lassen hat«, erklärt Takai. »Und meine Mutter versucht auf ihre Weise, mich zu akzeptieren. Sie weiß, dass die Person, die sie für ihren Sohn hielt, nun mit völlig anderem Namen Bücher publiziert. Sie schrieb mir einmal, dass sie bei meiner Geburt enttäuscht gewesen sei, weil ich ein Junge war. Aber dass sie jetzt sieht, dass ich schon immer ein Mädchen gewesen sei.« Es trifft nicht ganz den Nagel auf den Kopf, erklärt Takai, doch Takai ist überzeugt, dass die Mutter es nur gut meint.

Takais Leid, insbesondere als Kind und Schüler*in, kann der trans Aktivist Mameta Endō gut nachvollziehen. »Es gibt zwei wirklich wichtige Dinge im Leben eines trans Kindes«, erklärt Endō. »Zum einen ist es die Akzeptanz der Familie. Sobald Familienmitglieder das Kind so akzeptieren, wie es sein möchte, sinkt die Suizidrate drastisch. Das andere Thema, das fast genauso wichtig ist für Kinder, sind Schuluniformen.«

Endō ist Ende 30, Berater der Petitionsplattform change.org und Autor und Aktivist für trans Rechte. Er erlangte japanweit Aufmerksamkeit durch sein erstes Buch »Ore wa zettai ni watashi janai« – Ore (ich, männliches Pronomen für die erste Person Singular) bin ganz bestimmt nicht watashi (ich, weibliches Pronomen für erste Person Singular) –, worin er den Begriff trans erklärt und einen Einblick in den Alltag eines trans Jungen in Japan gewährt. Im Buch kritisiert Endō unter anderem die Schuluniform, wegen der er selbst viel leiden musste.

»Manche Kinder sagen, dass die Schuluniform ihnen komplett ihre Lebensfreude raubt. Sie überlegen deswegen ernsthaft, sich das Leben zu nehmen«, erklärt Endō. Deshalb setzt er sich immer wieder dafür ein, dass das Tragen der Schuluniform optional wird anstatt wie bisher obligatorisch. Falls dies nicht möglich ist, sollen Kinder wenigstens selbst entscheiden dürfen, welche Bestandteile der Uniform sie tragen wollen. Bei Letzterem besteht allerdings das Problem des erzwungenen Coming-outs. Wohl nur wenige trans Jungen werden sich trauen, eine Hose zu tragen und noch weniger trans Mädchen hätten den Mut, sich einen Rock anzuziehen, insbesondere wenn sich Mitschüler*innen strikt der zugeteilten Kleiderordnung unterwerfen.

»Ursprünglich waren Uniformen dazu gedacht, den Schulbesuch zu erleichtern. Die Idee war, die Kluft zwischen Arm und Reich durch universelle Kleidung zu beseitigen«, erklärt der Rechtsanwalt Tomikazu Gotō aus der Präfektur Fukuoka. Doch heutzutage seien Uniformen teuer. Schüler*innen werden dennoch dazu gezwungen, sie zu kaufen, um überhaupt am Unterricht teilnehmen zu können. »Der einzig richtige Weg sollte sein, dass Schüler*innen selbst entscheiden können, ob und welche Uniform sie tragen wollen.«

Gotō selbst wurde 2017 auf die Probleme der Schuluniformen aufmerksam und vertritt seitdem mehrere Schüler*innen, die sich gegen das Schulsystem und insbesondere den Zwang zur Uniform wehren. Der Rechtsanwalt selbst trägt einen roten Hoodie mit Bärenaufdruck. Sein Büro ist gefüllt mit Regalen voller Bücher und Spielwaren. In der Mitte des Raums steht ein kleines Zelt, worin sich ein gigantisches Plüschkamel versteckt hält. Es ist ein wichtiger Rückzugsort für Kinder, die durch die Schule so verängstigt sind, dass sie sich erst darin trauen, mit ihm zu reden. Nicht alle diese Kinder seien trans, auch cis Kinder erlebten viel Anpassungsdruck und Schikane in der Schule. Das Leid der trans Kinder in Bezug auf die Uniform habe ihn dennoch besonders getroffen, erklärt Gotō.

»30 Prozent der Schulleitungen in Fukuoka hatten Erfahrung mit trans Kindern, die Probleme mit ihrer Schuluniform haben«, erklärt er. »Und das sind Fälle, in denen sich Kinder bei der Leitung geoutet haben.« Die meisten Kinder teilen ihre Qual gar nicht erst mit dem Lehrpersonal, wie im Fall von Yutori Takai. Und doch sei dies für die Stadt nicht ausreichend gewesen, um Maßnahmen zu ergreifen. Stattdessen werde individuell auf einzelne Fälle reagiert, allerdings nicht im Sinne des Kindes. »Die Schulen versuchen dann, das Kind zu überzeugen, weiter die Uniform zu tragen. Sie passen sich also nicht an die Bedürfnisse der Schüler*innen an, sondern die Kinder haben sich anzupassen. Das kann doch nicht sein.«

Durch Rechtskämpfe und Medien sind Japans Schulen, auch in Fukuoka, offener für die Idee der freien Kleidungswahl geworden. Doch man dürfe keine Minute lockerlassen, kritisiert Gotō. Denn sobald die Schulleitung wechsele, würden viele bereits umgesetzte progressive Maßnahmen wieder rückgängig gemacht. Eine progressive Schulreform erscheint so wie eine endlose Sisyphusarbeit, die erst mit einer Liberalisierung der gesamten Gesellschaft möglich wäre.

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