Harfouch: »Es ist unnatürlich, sich vor dem Tod zu drücken«

Corinna Harfouch über ihren neuen Film »Sterben«, das Altwerden und unseren Umgang mit Pflegebedürftigkeit

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 5 Min.
Corinna Harfouch in der Parade-Frauenrolle als Mutter Lissy: Unterkühlt, ohne Wissen um die eigenen Bedürfnisse
Corinna Harfouch in der Parade-Frauenrolle als Mutter Lissy: Unterkühlt, ohne Wissen um die eigenen Bedürfnisse

Der Titel des Filmes (»Sterben«) ist gewagt und mag vielleicht davon abhalten, ins Kino zu gehen. Warum ist das trotzdem der richtige Titel für den Film?

Das liegt ja auf der Hand. Es ist fast schon eine Binsenweisheit, dass Leben und Sterben nun mal ein und dasselbe sind. Unsere Kultur ist aus irgendwelchen Gründen seltsam prüde, was das Reden über den Tod betrifft. Ich finde, wir sollten auf einen solchen Titel einfach neugierig sein und uns nicht davon abschrecken lassen. Das ist irgendwie unnatürlich, sich vor dem Tod zu drücken. Wir alle sterben irgendwann.

Interview


Corinna Harfouch, 1954 in Suhl geboren, ist wohl ähnlich bekannt wie der Bundeskanzler, immerhin hat sie bisher in über 100 Film- und Fernsehproduktionen und Dutzenden Theaterstücken mitgewirkt und ist fast ebenso oft ausgezeichnet worden. Für ihre Rolle der Mutter in Matthias Glasners Drama »Sterben« ist sie für den Deutschen Filmpreis nominiert. Der Film über eine dysfunktionale Familie geht mit neun Lola-Nominierungen ins Rennen.

Matthias Glasner beschreibt den Film als Annäherung an sich selbst, da das Drehbuch auf seiner Lebensgeschichte beruht. Haben Sie Lissy auch für Matthias Glasner gespielt?

Ja. Ich habe so ein bisschen die Hoffnung, dass Matthias dadurch, dass ich seine Mutter gespielt habe, seine verstorbene Mutter vielleicht besser versteht. Das war auch ein Teil meiner Motivation, sie zu spielen.

Mit Ihrem Filmsohn Tom (Lars Eidinger) sitzen Sie 24 Minuten am gedeckten Kaffeetisch, wo Sie sich erst wenig zu sagen haben, dann konfrontieren Sie ihn schonungslos mit der Wahrheit. Wie haben Sie diese intensive Szene entwickelt?

Der Text stand fest und wir haben ihn Wort für Wort so angenommen. Es ist wohl eine Art Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs, das Matthias mit seiner Mutter hatte. Das Wichtigste bei der Szene ist, dass man den Text ganz genau lernt. Das Spiel entwickelt sich dann beim Drehen. Durch Partner, Raum und Körper ergibt sich das Spiel miteinander. Lars und ich haben uns bei den Dreharbeiten getroffen, dann haben wir die Szene einfach ohne Probe gedreht und Matthias hat sich entschieden, die erste Szene ganz zu übernehmen. Wir hatten ohnehin eine besondere Atmosphäre am Set. Wir hatten keine Drehpause, wir haben gedreht, bis wir müde waren und abends haben wir ganz viel über das Leben geredet. Das war eine sehr intensive Zeit.

Wie hat diese Zeit Ihre Perspektive auf Leben und Sterben geprägt?

Es hat meine Sicht aufs Leben nicht verändert. Wenn überhaupt, dann sieht man die Lebenserfahrung von mir oder Matthias in den Szenen. Es ist jetzt nicht so, dass man wie in einem Klassenzimmer sitzt und sich denkt: »Ich habe folgendes für mein Leben gelernt.« So ein Empfinden habe ich noch nie gehabt.

Auf den ersten Blick wählt Lissy die Einsamkeit. Sie tut so, als würde sie niemanden brauchen. Eigentlich kämpft sie um die Aufmerksamkeit Ihres Sohnes Tom. Ist Lissy zu stolz, um zugegeben, wie einsam sie ist?

Ja. Sie traut sich nicht und sie hält sich nicht für wert genug. Es gibt niemanden, wirklich niemanden, der von sich aus will, dass sich keiner um einen kümmert. Lissy ist einfach unendlich ungeschickt. Die Szene, in der Lissy ihren Sohn anruft, wird aus zwei Perspektiven gezeigt. Tom ist überhaupt nicht konzentriert, sucht einen Vorwand, um aufzulegen. Lissy will ihm erzählen, was sie erlebt hat. Eigentlich schreit sie nach Hilfe. Sie kann nicht direkt sagen: »Du kommst jetzt bitte hierher!« Sie denkt sich nur: »Der arbeitet sicher sehr viel. Der hat sicher keine Zeit« und hat davor Respekt. Sie will nicht aufdringlich sein. So denken viele alte Leute.

Lissy ist mit Gerd (Hans Uwe-Bauer) verheiratet. Als ihr Mann an Demenz erkrankt, kann sich Lissy nicht mehr um ihn kümmern und er wird ins Pflegeheim gebracht. Im Film wird ein deprimierendes Bild gezeigt. Es ist kein Pflegeheim, es ist ein Sterbeheim. Ist das wirklich eine Lösung?

Nein. Es ist eine große Schande, wie das aktuell abläuft. Das Pflegepersonal hat immer mehr mit zutiefst pflegebedürftigen Menschen zu tun, das Heim wächst aber nicht richtig mit. Dass das mal Persönlichkeiten waren und eben immer noch sind, tut nichts zur Sache. Allein, dass jemand nicht mal mehr bestimmen darf, wann er Hunger hat und wann nicht, wie viel er essen will und ob er diese Leberwurst wirklich jeden Tag möchte oder nicht, ist keine gute Entwicklung. Der Film zeigt das auch ganz gut. Tom Lunies (der gemeinsame Sohn) hat den Vater sehr geliebt, dann kommt der Vater ins Heim und damit wird Tom auch konfrontiert. Der Vater war für Tom über viele Jahre lang eine Respektsperson, nun darf er keine Entscheidungen mehr treffen. Aber er kann seinen Vater nicht einfach zu sich nehmen, das können viele Menschen nicht. Die Menschen, unsere Leute, die ihr Leben lang unseretwegen gerackert haben, in diese Anstalten abschieben, ist so ein schreckliches Konzept. Aber was ist die Lösung? Pflegekräfte berichten, dass Leute heutzutage immer später ins Heim gehen. Das war früher anders. Jetzt kommen sie, wenn sie fast nicht mehr können. Sie sind dann wirklich eingesperrt.

Haben wir in der Gesellschaft verlernt, miteinander umzugehen?

Auf jeden Fall. Ich lebe in einem Dorf, da ist es noch mal ein bisschen was anderes. Das würden die Nachbarn auch merken, wenn du deine Mutter da verkommen lässt. Aber ich glaube auch, dass das Stadtleben sehr heftig und anstrengend geworden ist und Bindungen zerstört. Es ist anonymer. Aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass man, egal was dein Vater dir früher eventuell angetan hat, sich um seine Familie kümmert. Ich würde jetzt auch nicht sagen, dass wir eine Traumfamilie waren, wirklich nicht.

Was wird das Publikum in den drei Filmstunden erleben?

Der Film wird die Zuschauer mit seinen verschiedenen Erzählsträngen sehr unterschiedlich ansprechen oder abstoßen. Was man sich natürlich immer wünscht, ist, dass sie ihren eigenen Film daraus machen und mit ihrem Leben verbinden. Es gibt genügend Geschichten, die im Film erzählt werden, an die Menschen mit ihren Lebenserfahrungen anknüpfen können.

»Sterben«, Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Matthias Glasner. Mit: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg. 183 Min., Start: 25.4.

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