Rechtsextremer Verlag »Der Schelm«: Wie Amazon für Antisemiten

Mitbetreiber des Nazi-Buchverlags »Der Schelm« als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung verurteilt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Der frühere Leipziger NPD-Stadtrat Enrico B. vor der Urteilsverkündung im »Schelm«-Prozess in Dresden
Der frühere Leipziger NPD-Stadtrat Enrico B. vor der Urteilsverkündung im »Schelm«-Prozess in Dresden

Es war ein sehr lukratives Geschäft. Die in Ungarn gedruckte Ausgabe von Adolf Hitlers Propagandaschrift »Mein Kampf«, die beim Buchverlag »Der Schelm« erhältlich war, kostete in der Herstellung 3,77 Euro. Vertrieben wurde sie für 30 Euro, eine Gewinnspanne von 87 Prozent. Das Buch war »der Hauptverkaufsschlager« eines Unternehmens, das mit diesem und anderen antisemitischen Hetzschriften binnen 20 Monaten eine halbe Million Euro umsetzte.

Der Geschäftszweck war dennoch nicht vordergründig Gewinnmaximierung. Vielmehr sei er »auf die Verbreitung volksverhetzender Schriften gerichtet« gewesen, sagte Hans Schlüter-Staats, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht (OLG) Dresden, in der Begründung des Urteils gegen drei Mitbetreiber von »Der Schelm«.

Sie alle wurden der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Volksverhetzung für schuldig befunden. Einer von ihnen, der einstige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico B., muss deshalb für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Seine frühere Lebensgefährtin sowie der Grafiker des Verlags wurden zu Haftstrafen von 18 und 22 Monaten verurteilt, die jeweils für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Der Kopf des Unternehmens Adrian P. allerdings, der glühender Nationalsozialist ist und in einem von Schlüter-Staats zitierten eigenen Buch davon spricht, dass »Antisemitismus der gefühlsmäßige Unterbau unserer Bewegung« sei, bleibt unbehelligt: Er lebt seit Jahren in Russland. »Ein Schelm, wer Arges dabei denkt«, kommentierte Schlüter-Staats.

Die Ursprünge des Verlags reichen bis 2010 zurück, als zwei der Beteiligten im NPD-Verlag »Deutsche Stimme« in Riesa arbeiteten. Formal gegründet wurde »Der Schelm« 2014/15, als P. das Angebot erhielt, ein vom US-Unternehmer Henry Ford verfasstes zentrales antisemitisches Werk der 1920er Jahre neu zu verlegen. Der Versand lief zunächst über einen Verlag in Hessen. Im Sommer 2018 wurde er nach Nordsachsen verlagert, wo NPD-Mann Enrico B. und seine Freundin in Bad Lausick eine Lagerhalle anmieteten. Bei einer Razzia des Landeskriminalamts Sachsen im Dezember 2020 wurden dort rund 50 000 Bücher vorgefunden, zwei Drittel davon mit volksverhetzendem Inhalt.

Das Geschäft florierte. Unterlagen zufolge wurden allein von Mai 2019 bis zur Durchsuchung 10 700 Pakete mit Büchern verschickt, 134 in der Woche, wie Schlüter-Staats vorrechnete. Die Logistik war professionell organisiert. So hatte der Grafiker ein elektronisches Warenwirtschaftssystem installiert, es gab Handscanner und Etikettendrucker. Das Unternehmen habe »wie ein kleiner Amazon-Versand« funktioniert, »nur mit weniger Mitarbeitern«, sagte der Richter.

Während der US-Versandhändler freilich »nur« den schnellen Konsum in einer Wegwerfgesellschaft am Laufen hält, zielte »Der Schelm« auf die Zersetzung der Gesellschaft. Schlüter-Staats zitierte Äußerungen des Verlagsgründers, der von der »restlosen Säuberung der gesamten arischen Menschheit« von jüdischen Einflüssen fabulierte, und fügte an: »Diesen Worten, auch wenn sie noch so wirr klingen mögen, folgen Taten.« So werde der Boden für »furchtbare Gewalttaten« bereitet. Unter Bezug auf den Entstehungszeitraum der meisten Werke vor und in der NS-Zeit merkte der Richter an, es handle sich dennoch nicht um ein bloßes historisches Phänomen. Er erinnerte an das Attentat eines Neonazis auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 als eines der »schrecklichsten Beispiele in unserem Land und in unserer Zeit«.

Die Verteidiger hatten im Prozess argumentiert, den Angeklagten sei es nur um Geld gegangen; mit dem Inhalt der Werke hätten sie sich kaum befasst. Das Gericht ist indes überzeugt, dass die Beschuldigten sich des kriminellen Charakters der Geschäfte bewusst gewesen seien und ein Eingreifen der Sicherheitsbehörden befürchtet hätten. So wurden Pakete nur in Filialen ohne Kameraüberwachung versandt, für Retouren gab man eine Tarnanschrift an. Auch inhaltlich hätten die Angeklagten keine Probleme mit den vertriebenen Büchern gehabt. Einer habe den Kalender des »Schelm«-Verlags an seinem Arbeitsplatz aufgehängt. Alle drei, betonte der Richter, seien zumindest zeitweise Anhänger der NS-Zeit gewesen. Der Grafiker befindet sich inzwischen allerdings in einem Aussteigerprogramm. Das wurde bei der Urteilsfindung ebenso mildernd berücksichtigt wie die umfassenden Geständnisse.

Die Geschäfte von »Der Schelm« beeinträchtigt das juristische Vorgehen gegen die drei Mitbetreiber offenbar kaum. Die Homepage und der Online-Shop des Verlags seien erreichbar, ergaben Recherchen der »Leipziger Volkszeitung« im Januar. Auch bestellte Bücher wurden ausgeliefert.

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