EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling: Die privat Unpolitische

Österreichs EU-Spitzenkandidatin der Grünen mit dem Vorwurf »strukturellen Lügens« konfrontiert

Die österreichische Grünen-Politikerin Lena Schilling äußert sich zu den Vorwürfen gegen ihre Person.
Die österreichische Grünen-Politikerin Lena Schilling äußert sich zu den Vorwürfen gegen ihre Person.

In Österreich geht kaum eine Wahl ohne ein kleineres oder größeres Skandälchen vonstatten. Sorgte zuletzt die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) für Aufsehen, als sie bei der Wahl ihres Parteichefs eine Excel-Tabelle falsch auswertete und den Zweitplatzierten zum Sieger kürte, so kreieren nun die Grünen Aufruhr. Spitzenkandidatin und Klimaaktivistin Lena Schilling soll laut Recherchen der Tageszeitung Der Standard ein zweifelhaftes Sozialverhalten an den Tag gelegt haben.

Ihr wird vorgeworfen, falsche Behauptungen über politische Mitstreiter*innen und Medienvertreter*innen verbreitet zu haben sowie sie zu ihrem Vorteil gegeneinander ausgespielt zu haben. Gegenüber einem ehemals befreundeten Ehepaar musste Schilling eine Unterlassungserklärung unterzeichnen. Einige ihrer Handlungen sollen existenzbedrohende Folgen gehabt haben. Der Standard war den Vorwürfen in Gesprächen mit über 50 Personen aus Schillings Umfeld nachgegangen.

Schilling reagierte erst auf X, ehemals Twitter, und dann in einer eigens einberufenen Pressekonferenz am Mittwoch. Durch die Anschuldigungen werde ihr Charakter in Frage gestellt, nicht jedoch ihre Politik – anders, als bei ihren Konkurrent*innen, den durchwegs männlichen Spitzenkandidaten der anderen Parteien. »Ich hoffe, Sie sehen, auf welchen Punkt ich hinaus will«, deutete sie an.

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Konkreter äußerte sich Werner Kogler, Vorsitzender der Grünen: »Gerade gegenüber Frauen wird dieses Verhalten gerne an den Tag gelegt, wenn sie sich engagieren.« Er bezeichnete die Vorwürfe als »anonymes Gemurkse und Gefurze«. Die Erzählung der Grünen: Es handele sich um eine sexistische Kampagne gegen die Spitzenkandidatin, durch die Privates und Politisches vermischt würden. Sexistische Angriffe auf Politikerinnen sind für die Grünen nichts Neues. Schillings Parteikollegin Sigi Maurer hatte aufgrund von Diffamierungen gegen ihre Person eigens eine Kampagne gegen Hass im Netz gestartet.

Die 23-jährige Schilling war bis zu ihrer Kandidatur im Januar Österreichs bekannteste Klimaaktivistin. Ihren Namen hatte sie sich als Mitbegründerin des Jugendrats gemacht, einer linken Gruppe, die aus Fridays for Future entstanden war. Sie war das Gesicht der Bewegung gegen die Lobauautobahn, die von September 2021 bis April 2022 Baustellen besetzte. Einige der zurzeit diskutierten Vorwürfe gegen Schilling kommen auch vom Jugendrat.

Für die Grünen trat Schilling »für Klimagerechtigkeit und gegen rechte Hetze« im EU-Parlament an. Sie sollte der Grünen Partei einen jungen und radikaleren Anstrich geben und brachte Schwung in eine EU-Wahl, in der in Österreich vorrangig altgediente Politiker kandidieren. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorwürfe ist demnach denkbar ungünstig, so kurz vor der Wahl im Juni.

Nicht nur die Grünen, auch die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle ortete ungerechte Züge darin, dass jene Vorwürfe ausgerechnet zu einer Frau in der Politik publik gemacht würden. Sie sagte orf.at, Leute auszuspielen, um in der Politik aufzusteigen, sei Teil der Politik.

Gerade deswegen müssen jene Vorwürfe proaktiver aufgenommen werden. Die Grünen – und nebenbei bemerkt auch alle anderen Parteien – täten sich selbst und allen anderen einen Gefallen, würden sie die politische Arbeitsweise an sich hinterfragen, insbesondere wenn Schmutzkampagnen zum österreichischen Tagesgeschäft zu gehören scheinen. Dann könnte sich die Partei künftig auf einen Themenwahlkampf konzentrieren – so wie es Kogler in einer ersten Reaktion gefordert hatte.

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