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Reichsbürger-Prozess: Gut vernetzt am rechten Rand

Seit einem Jahr wird in Koblenz gegen die Gruppe »Vereinte Patrioten« verhandelt. Sie hat Verbindungen zur Gruppe um Prinz Reuß

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein mutmaßliches Mitglied der Terrorgruppe »Vereinte Patrioten« im Verhandlungssaal in Koblenz.
Ein mutmaßliches Mitglied der Terrorgruppe »Vereinte Patrioten« im Verhandlungssaal in Koblenz.

Isabell B. hat ihr Gewissen entdeckt. Oder ihre Angst vor Strafverfolgung. Im Januar 2022 hatte die 38-Jährige noch mit Geistesverwandten aus der Szene der »Reichsbürger« und Corona-Leugner*innen über einen Umsturz in Deutschland diskutiert. Über die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Über das Herbeibomben eines wochenlangen Stromausfalls in Deutschland. Über die Rückkehr zur Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871. Doch dann ging sie zur Polizei und schwärzte ihre Mitstreitenden an.

Die Pläne, sagte die Frau, als sie jetzt als Zeugin im Koblenzer Oberlandesgericht auftrat, seien ihrem Eindruck nach immer konkreter geworden. »Irgendwann merkt man: Das ist ernst gemeint.«

Seit genau einem Jahr läuft in Koblenz der Terrorprozess gegen vier Männer und eine Frau, denen vorgeworfen wird, als Gruppe »Vereinte Patrioten« den gewaltsamen Sturz der Bundesregierung geplant zu haben. Und auch wenn die Angeklagten sich nach Kräften bemühen, die Pläne als bloße Gedankenspiele zu verharmlosen, die eigene Gewaltbereitschaft herunterzuspielen und die Verantwortung hin und her zu reichen: Dass sie einen Umsturz sowohl für legitim als auch für machbar gehalten haben, dürfte nach mehr als 50 Verhandlungstagen kaum mehr zu bezweifeln sein.

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Schwieriger zu beantworten ist eine andere Frage: Warum wurde allein dieses illustre Quintett – bestehend aus den Ex-NVA-Soldaten Thomas O. und Sven B., dem Alleinunterhalter Michael H., der promovierten Theologin Elisabeth R. und dem Bahnarbeiter Thomas K. – als vermeintlicher Kern der »Vereinten Patrioten« angeklagt? Denn neben ihnen gab es ganz offensichtlich eine große Zahl weiterer Beteiligter oder zumindest Eingeweihter.

Der Prozess hat gezeigt, wie selbstbewusst sich verschiedene Gruppen von Corona-Leugner*innen, »Reichsbürgern« und Neonazis über ihre jeweiligen Gewaltfantasien und Umsturzpläne austauschten. Wie sie einander regelrecht zu übertrumpfen und gegenseitig anzuwerben versuchten.

Auch zu den Möchtegern-Putschisten um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß, denen jetzt in drei Mammutverfahren mit insgesamt 26 Angeklagten der Prozess gemacht wird, standen Koblenzer Angeklagte in Kontakt.

In einem abgehörten Telefonat brüstete sich Thomas O., er lerne bald »unseren wichtigsten Mann in dieser Geschichte« kennen: »Ich sag mal: Prinz von Reuß sagt dir was?« In einem anderen belauschten Gespräch breitete Sven B. detailliert die Pläne der »Vereinten Patrioten« aus und löste bei seinem Gegenüber damit Begeisterung aus: »Wenn es klappt, ist das die Befreiung der ganzen Nation!«, jubelte Matthias H.

H. ist einer von neun Beschuldigten, gegen die seit Ende April vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht verhandelt wird. Laut Bundesanwaltschaft sollte er für die »Patriotische Union« um Prinz Reuß eine »Heimatschutzkompanie« aufbauen.

Es hat zudem auch mit den »Vereinten Patrioten« zu tun, dass die Behörden der mutmaßlichen Reuß-Verschwörung überhaupt auf die Spur kamen. Als Sven B. im März 2022 bereits überwacht wurde, traf er sich mit dem Ex-KSK-Soldaten Peter W. aus Bayern und dem ehemaligen AfD-Kommunalpolitiker Christian W. aus Sachsen. Die beiden sollen offen versucht haben, »kampferprobte Männer« für die Erstürmung des Bundestages zu rekrutieren. So erfuhren die Behörden, was sich da zusammenbraute.

Peter W. wird von der Bundesanwaltschaft zur Führungsriege der mutmaßlichen Reuß-Putschisten gerechnet. Die muss sich ab dem kommenden Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verantworten. Christian W. ist Angeklagter im dritten Verfahren, das Mitte Juni in München beginnen soll.

Die drei Großverfahren gegen die mutmaßlichen Umsturzplaner um Reuß werden wohl Jahre dauern. Aber auch in Koblenz ist kein Ende in Sicht. Der Prozess ist für das Gericht eine Herausforderung. Bis einschließlich Mittwoch gab es 53 Verhandlungstage, 23 Zeugen wurden vernommen, drei Sachverständige gehört. Und es wurden zahlreiche aufgezeichnete Telefonate und Gespräche abgespielt; darin war etwa von einem Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und von der »Abschaltung« der Bundesrepublik die Rede.

Seit April gibt es zudem ein Parallelverfahren zum »Vereinte Patrioten«-Prozess. Darin wird gegen zwei weitere Angeklagte verhandelt: Robert P., ein langjähriger Ausbilder des Deutschen Roten Kreuzes in Rheinland-Pfalz, soll Stromtrassen für die geplanten Anschläge ausgekundschaftet haben. Er bestreitet das und behauptet, die entsprechenden Fotos auf seinem Handy seien zufällig entstanden.

Die zweite Angeklagte, Heidi O., soll die »Vereinten Patrioten« unter anderem durch die Administration von Telegram-Gruppen unterstützt haben. Die 33-Jährige ist die Tochter des Angeklagten Thomas O. aus dem Hauptverfahren – und schweigt, wie es auch ihr Vater lange getan hat. Verteidigen lässt sie sich von zwei bekannten Rechtsextremen: der Szeneanwältin Nicole Schneiders und Peter Richter. Der Rechtsanwalt aus Saarbrücken ist führender Funktionär der Neonazi-Partei »Die Heimat«, wie sich die vormalige NPD heute nennt.

Am kommenden Dienstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der zweite Prozess gegen die neun mutmaßlichen Rädelsführer der Gruppierung um Reuß wegen Terrorverdachts, also auch gegen den Prinzen selbst, der den Umsturzplänen zufolge als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte fungieren sollen. Auch Ex-Soldaten sowie die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann gehören zu den Beschuldigten. Reuß und andere Verdächtige waren im Dezember 2022 festgenommen worden.

Angesetzt sind zunächst 48 Prozesstage bis Mitte Januar 2025. Dafür wurde eine Leichtbauhalle mit rund 1300 Quadratmetern Fläche am Stadtrand der Mainmetropole gebaut, weil seit Längerem feststand, dass das eigentliche Gerichtsgebäude saniert werden muss. Die neun Angeklagten werden von 25 Anwälten verteidigt. Neben den fünf Richtern sollen zwei Ergänzungsrichter dabei sein. Rund 260 Zeugen werden demnach geladen.

Die Gerichtsverhandlung um den militärischen Arm der Gruppe »Reuß« hatte Ende April in Stuttgart begonnen. Und in München stehen zudem ab dem 18. Juni die übrigen mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe vor Gericht.

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