Streiten und Taktieren

  • Franz Hutsch
  • Lesedauer: 5 Min.
Streiten und Taktieren

Die Gauloise im Mundwinkel, das noch halb gefüllte Rotweinglas vor sich, eine Stimme irgendwo zwischen Joe Cocker und Clint Eastwood: »Recherchieren Sie das mal – und denken Sie daran: Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« So hat mich mein alter Chefredakteur losgeschickt, wenn er wieder einmal irgendwo etwas gehört hatte und eine Geschichte witterte. Ergebnisoffen sollte ich an das Thema herangehen. Gleichgültig, ob es sich um einen Verkehrsunfall handelte, um die Konzepte von Lokalpolitkern oder um Kriegsverbrechen. Immer galt es, mindestens zwei unabhängige Quellen heranzuschaffen, Dokumente und Fotos, deren Echtheit überprüft werden mussten.

Jedem Volontär, jedem Reporter wird von den Altvorderen im Journalismus von Franz-Josef Wagner über Hans-Joachim Friedrichs bis Peter Scholl-Latour besonders eines eingebleut: Geht ohne vorgefertigte Meinung an die Sache heran. Schaut nach, wägt ab. Die Meinung bildet Euch zum Schluss, wenn alle verfügbaren Fakten auf dem Tisch liegen.

Mit ergebnisoffener Recherche hat ein Untersuchungsausschuss nichts gemein. Meinungen stehen fest, da ist noch keine einzige Akte an die Parlamentarier ausgegeben.

Die Unschuld besonders seines aktuellen Kanzlerkandidaten in der »BND-el-Masri-Kurnaz-Rendition-Bagdad-Journalistenbespitzelungsaffäre« war für den Sozialdemokraten Thomas Oppermann schon erwiesen, als das Parlament dem Ausschuss gerade mal einen Untersuchungsauftrag gegeben hatte. Da waren die eigentlichen Untersuchungsaufträge schon vergeben. Je nach Partei wurde auf Teufel-komm-raus recherchiert, um die feststehende Urteil mehr oder weniger überzeugend zu untermauern.

Und so stritten und taktierten die Abgeordneten in der Bandbreite von »Steinmeier – unschuldig« bis »Steinmeier – abschießen«. »Fischer – nicht beschädigen« bis »Fischer – opfern«. »Schröder – aus allem raushalten« bis »Schröder – das Mastermind«. Bis tief in die Nacht. Öffentlich mit Blick auf die Ausflugsdampfer auf der Spree. Hinter verschlossenen Türen in abhörsicheren Sälen. Um am Ende im Sommer 2009 seitenreich Ergebnisse zu präsentieren, die im Kern schon im Mai 2006 festgezurrt waren.

Journalisten, die derart in Meinungen und Standpunkten, taktischen Spielereien und strategischen Richtlinien eingezwängt recherchieren und veröffentlichen, werden zu Recht vor die Pressekammern gezerrt, zu Gegendarstellung und Richtigstellung gezwungen. »Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« – journalistisches Handwerkszeug, von dem alles abhängt.

Deshalb fängt im Journalismus alles mit einem Rechercheplan an. Was könnte den Reporter weiterhelfen, ein Thema zu erschließen? Mit wem sollte er sprechen, wo Kompetenz und Sachverstand einholen, wie Zusammenhänge erfassen? Wie organisiert er sich, wie bereitet er sich auf Gespräche vor.

Ein Paradebeispiel, wie schlecht vorbereitet ein Reporter keinesfalls in wichtige Gespräche gehen sollte, lieferte am 29. März 2007 ebenfalls der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode, kurz der BND-UA. Als Zeuge war der Bundesaußenminister bei sonnigem Wetter zur öffentlichen Sitzung geladen. Es sollte die Frage geklärt werden, ob der damalige Kanzleramtschef alles dafür getan hatte, den seit Geburt in Bremen lebenden Türken Murat Kurnaz früher aus dem amerikanischen Folterlager Guantanamo zu holen. Der Obmann der Linkspartei wollte Frank-Walter Steinmeier in die Mangel nehmen. Konfrontierte ihn mit Vermerken, die er irgendwo gelesen haben wollte. Thomas Oppermann eilte Steinmeier mit einem Zwischenruf zur Seite: »Wo steht das denn, Herr Neskovic?« Der frühere Bundesrichter geriet in Bedrängnis: Die Quelle werde er geben. Selbstverständlich. Ein Kramen und Suchen begann. Minutenlang. Steinmeier beäuge die Szene erst interessiert. Dann zog er sein Jackett aus und hing es auf die Lehne seines Stuhls. »Ich finde es; denn ich kann mich auf meine Erinnerung verlassen. … Ich kann mich doch auf mein Gedächtnis verlassen«, murmelte Wolfgang Neskovic derweil. Steinmeier lehnte sich derweil zurück und genoss das Gewusele vor sich. Hätte ihm jemand ein Bier gebracht und einen Hocker unter die Füße geschoben, er hätte es nicht ernsthaft zurückgewiesen.

Die Anekdote macht vor allem eines deutlich: Ohne gewissenhafte Vorbereitung ist ein Interview genauso wenig zu führen wie ein Zeuge zu befragen. Natürlich ist es Kräfte zerrend, wenn ein Abgeordneter zusätzlich zu seiner Arbeit in einem Untersuchungsausschuss seine »normale« parlamentarische Arbeit fortsetzt. Natürlich ist es nervig, wenn namentliche Abstimmungen während einer Ausschusssitzung die Volksvertreter von den Zeugen weg- und in den Plenarsaal klingeln. Dennoch können Wählerinnen und Wähler von ihrem Abgeordneten erwarten, was beispielsweise der Grünen-Chefuntersucher Hans-Christian Ströbele in allen Untersuchungsausschüssen gemacht hat, in die er in seiner Bundestagszeit abgeordnet wurde: Keine Akte wurde in sein Büro geliefert, die er nicht selbst studierte, die meisten Schriftstücke penibel.

Eine Arbeit, die in Untersuchungsausschüssen ein Ermittlungsbeauftragter erledigen könnte. Ein von allen Parteien Akzeptierter, der ohne vorgefertigte Meinung Zeugen befragt, Akten studiert und den Abgeordneten ein wertfreies Ergebnis präsentiert. Immer mit der Möglichkeit, dass die Parlamentarier sich selbst ein ergänzendes Bild in eigenen Befragungen und Beweisaufnahmen machen. Eine Arbeitsweise, wie sie eben den alten Schlachtrössern im Journalismus zu eigen ist, wenn sie Reporter losjagen, um Fakten zu sammeln, Informationen zu überprüfen, Zusammenhänge zu erkennen.

Immer mit dem Hinweis: »Ich will erst mal 'n Ergebnis, keine Meinung!« Bei schludrigen Volontären ergänzen Chefredakteure das gerne im Hinausgehen um den Halbsatz: »Und bereiten Sie sich erst mal vor!« So machen das die Journalisten, deren Produkte jeden Tag am Kiosk auf dem Prüfstand stehen und die um Einschaltquoten kämpfen. Schade, das der Bundesnachrichtendienst so was als Ergebnis seiner ganzen Journalisten-Bespitzelung nicht an alle Politikern gekabelt hat.

Franz Hutsch, Jahrgang 1963, ist ehemaliger Berufssoldat, Politologe und Kriegsreporter. Er hat für die ARD und das ZDF aus Irak und Afghanistan berichtet sowie für das Wochenmagazin »Stern« aus Bosnien und Kosovo. Franz Hutsch veröffentlichte zuletzt »Exportschlager Tod – deutsche Söldner als Handlanger des Krieges« im Econ Verlag. Inzwischen hat er geheiratet und heißt Feyder.

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