Nach der Wahl wird's unsozial
Das isw-Institut erwartet Sozialkürzungen und Steuererhöhungen
Derzeit rätseln viele politische Beobachter, wie die nächste Bundesregierung den krisengeschüttelten Haushalt wieder in den Griff kriegen will. Im Wahlkampf halten alle Beteiligten still. Fest steht, Bundeskanzlerin Merkel will die Reichen nicht »einseitig« belasten. Eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sind mit der Regierungschefin nicht zu machen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Neumünster verbat sie sich erst kürzlich jedwede »Neiddiskussion«.
Somit scheint klar, wer die Zeche zahlen soll. Der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge befürchtet, dass Deutschland am Vorabend einer »Agenda 2020« steht. Die Politik werde sich nach der Wahl das benötigte Geld dort holen, wo die »Lobbymacht« der Betroffenen gering sei, schrieb Butterwegge in einem Meinungsbeitrag für die »Blätter für deutsche und internationale Politik«. Der Politikwissenschaftler warnt, dass der Sozialversicherungsstaat »zunehmend in einen bloßen Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat verwandelt« werde. Die Anzeichen dafür mehren sich.
In einem kürzlich veröffentlichten Papier des gewerkschaftsnahen Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) aus München werden mögliche soziale Grausamkeiten aufgelistet. So vermutet man, dass die erst im Juni verabschiedete Rentengarantie auf den Prüfstand kommt. Schon im nächsten Jahr könnte der Ernstfall eintreten. Aufgrund sinkender Bruttolöhne müsste die Garantie greifen, damit die Renten nicht ebenfalls sinken. Der Arbeitgeberverband BDA hat sich bereits für eine Korrektur des »Fehlers Rentengarantie« ausgesprochen.
Denkbar auch, dass Rentner demnächst »den vollen Krankenkassenbeitrag« entrichten müssen, heißt es im isw-Papier weiter. Bislang zahlen Rentner die Hälfte des Versicherungsbeitrages von 15,5 Prozent. Aber auch für alle anderen Krankenversicherten könnte es demnächst teurer werden: 2009 erwarten die Kassen einen Fehlbetrag von fast drei Milliarden Euro. Sollte sich die wirtschaftliche Lage nicht grundlegend bessern, dann könnte das Defizit im kommenden Jahr bereits mehr als vier Milliarden Euro betragen. Die Kassen werden also nicht umhin kommen, den Zusatzbeitrag von maximal einem Prozent des Bruttoeinkommens ihrer Mitglieder zu verlangen.
Nahezu unausweichlich scheint auch die Erhöhung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes. Noch werden Lebensmittel, Zeitungen und Bücher mit nur sieben Prozent besteuert. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) plädierte bereits Ende Juni in der »Süddeutschen Zeitung« für eine Anhebung dieses Satzes auf 9,5 Prozent. Auch das Ende August bekannt gewordene »industriepolitische Grundsatzpapier« aus dem Bundeswirtschaftsministerium enthält die Forderung nach einer Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes.
Wie der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hält Bundesfinanzminister Steinbrück eine brisante Studie zu »Auswirkungen von Steuervergünstigungen« zurück. Vor der Bundestagswahl soll offenbar niemand erfahren, dass in dem Papier ausdrücklich empfohlen wird, die ermäßigten Steuersätze abzuschaffen. Möglicherweise werde es zu einem »Mix« aus Erhöhung der normalen und reduzierten Mehrwertsteuer kommen, prophezeit das isw. Auch Tabak- oder Alkoholsteuer könnten weiter steigen.
Besonders schmerzhaft könnten die Einsparungen jedoch Erwerbslose treffen. Durch den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnet die Bundesregierung mit zusätzlichen Kosten von 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2013. Bereits im nächsten Jahr werden die Reserven der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 17 Milliarden Euro aufgebraucht sein. Dann heißt es sparen. Das isw rechnet mit »einschneidenden Kürzungen bei den Leistungen«.
Dabei könnte der Staat seine desolate Finanzlage so einfach verbessern: Das isw empfiehlt eine Vermögensabgabe für die rund 810 000 Deutschen, die mindestens eine Million Dollar besitzen. Schon eine Steuer in Höhe von fünf Prozent brächte demnach rund 115 Milliarden Euro pro Jahr.
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