Heldengesänge auf dem Labour-Kongress

Großbritannien: Premier Brown wirbt um den kleinen Mann – und lässt wichtige Fragen offen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 2 Min.
»Wir wollen weder aufgeben noch abhauen. Wir kämpfen und gewinnen für Großbritannien«, behauptete Premierminister Gordon Brown am Dienstag auf dem Labour-Parteitag in Brighton tapfer. Sarah Brown glaubt an die Heldenstärke ihres Mannes – die Wähler auch?

Vor dem Parteitag in Brighton sah die Lage für Labour denkbar ungünstig aus. Ein schmählicher dritter Platz in der neuesten Umfrage hinter Konservativen und Liberalen ließ sogar die deutschen SPD-Führer wie Glückskinder aussehen. Freunde und Unterstützer fielen von Labour ab. Der linke Karikaturist Steve Bell macht sich seit Tagen in makabrer Weise über Browns Einäugigkeit lustig; der Premier hatte als Schüler ein Auge beim Rugby-Spiel verloren. Der angesehene BBC-Moderator Andrew Marr stellte am Sonntag gar die Frage, ob der Premier wegen der politischen Lage Tabletten zur Aufmunterung nehme – eine Unverschämtheit, die er gegen den Irak-Krieger Tony Blair nie gewagt hätte. Und am Mittwoch kündigte auch noch die auflagenstärkste britische Zeitung, »The Sun«, Brown ihre Gefolgschaft auf und verkündete, Oppositionschef David Cameron von der Konservativen Partei bei der Wahl Mitte kommenden Jahres unterstützen zu wollen.

Eine einzige Parteitagsrede konnte nicht alles wenden, doch lief der sonst so spröde Schotte am Dienstag zur Hochform auf. Vom Mindestlohn bis zu Familienbeihilfen, vom nordirischen Friedensprozess bis zu den Parlamenten in Wales und Schottland – Labour habe eine Reihe von Erfolgen aufzuweisen. Auf die eigene Rolle als Weltfinanzfachmann, der in London und Pittsburgh den G 20-Kollegen Maßnahmenbündel schnüren half, brauchte Brown nicht extra einzugehen: Der an der Wand prangende Spruch »Wir sichern Großbritanniens Aufschwung« machte dies deutlich.

Doch bei den früheren Großtaten ließ es der Premier nicht bewenden; ein Glück, denn die Wähler neigen kaum zur Dankbarkeit. Stattdessen gab es Zukunftsversprechungen: finanzielle Hilfe für Alte und zur Kinderbetreuung, Wohnheime für minderjährige Mütter, eine Aufstockung der Entwicklungshilfe, scharfe Maßnahmen gegen Jugendkriminalität, eine Volksabstimmung über das Mehrheitswahlrecht. Unfähige oder korrupte Abgeordnete sollen sich einer Nachwahl stellen. Von unbeliebten Ideen wie der kostenintensiven Zwangseinführung maschinenlesbarer Personalausweise verabschiedete sich Brown. Vertraut ihr in der Krise uns oder den Tories, die fürs Däumchendrehen eingetreten sind? Eine solide Rede hielt der Premier, ein Herz für kleine Leute, ein Fußtritt für den Gegner.

Einige entscheidende Fragen blieben jedoch unberührt. Afghanistan-Feldzug, Modernisierung der britischen Atom-U-Boote, eine Generation neuer Kernkraftwerke: Das bleibt anscheinend auf der Wunschliste, was Labours Glaubwürdigkeit bei skeptischen Linken nicht erhöht. Die neuen Fans von Konservativen-Chef Cameron wollen zumeist nur ein neues, weniger griesgrämiges Gesicht und bleiben wohl von Brown nicht überzeugt. Die Rede des Premiers reicht dazu, Gordon Brown vor einem Putsch seiner Kollegen zu bewahren; zum Sieg bei den Parlamentswahlen 2010 wohl nicht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!