»Krieg ist ein perverses Geschäft«
Alfieri Fontanas Weg vom Minenkonstrukteur zum Minenräumer
Von unerlässlichem Wert bei den Verhandlungen zu dem Abkommen in Oslo war dem zivilgesellschaftlichen Bündnis die technische Beratung durch den ehemaligen Minenkonstrukteur Vito Alfieri Fontana gewesen. »In den Gesprächen konnte ich wichtige Hinweise geben, welche unbedeutenden Schaltknöpfe einen einfachen Explosivkörper umgehend in eine Anti-Personenmine verwandeln«, sagt der 59-jährige Unternehmersohn aus Bari. »Da Minen im Allgemeinen aus einzelnen, oft in unterschiedlichen Ländern gefertigten Komponenten zusammengesetzt wurden, war es für ein effektives Verbot unerlässlich, alle in Frage kommenden Einzelteile in den Vertragstext mit aufzunehmen.« Dabei waren nicht alle Mitglieder der Kampagne begeistert, den italienischen Techniker bei den Vertragsverhandlungen an ihrer Seite zu haben. Als einer der wichtigsten Waffenproduzenten Italiens war Fontana Aktivisten des Bündnisses im negativen Sinne ein Begriff.
Fontana kann sich nicht vergeben
Dabei kann vor allen Dingen einer Alfieri Fontana nicht vergeben – er selbst. »Oft fühle ich mich wie ein Killer. Jeden Moment meines Lebens muss ich annehmen, dass eine von mir konstruierte Mine irgendwo hochgeht und jemanden tötet.« Dieses Wissen trieb ihn zum Handeln. Seit nunmehr zehn Jahren bildet er Minenräumer auf dem Balkan aus, die Zentimeter für Zentimeter die neu gebildeten Staaten vom tödlichen Erbe des Jugoslawienkrieges befreien.
»Anti-Personenminen sind die unmenschlichste Waffe der Welt, denn jede andere wird von dem Willen eines Menschen bedient. Eine Mine aber reagiert einfach auf den Druck desjenigen, der auf sie tritt.« Alfieri Fontana wiegt den kleinen runden Körper eines Minenmodells in seiner Hand. Moderne Plastikminen wie diese waren es, die die Waffenfabrik Tecnovar im Süden Italiens produzierte. Zunächst als Tochtergesellschaft des Waffenherstellers Valsella gegründet, wurde sie bald zum unabhängigen Unternehmen der Familie Fontana.
Alfieri wächst damit auf; die spätere Berufsausbildung zum Ingenieur ergibt sich wie von selbst. Er beginnt eigenständig, Prototypen von Minen zu entwerfen; versierte Tötungstechnik zum kleinen Preis, die günstigsten für zwei Euro das Stück. Gab es damals je Anlass, sein Tun in Frage zu stellen? »Nein«, sagt Fontana und schüttelt den Kopf. »Die Welt war im Kalten Krieg aufgespalten. Es gab nur ›uns‹ und ›den Feind‹.«
Einst war dem ehemaligen Minenproduzenten seine Vergangenheit eine Last, doch längst ist sie zu einer neuen Gegenwart geworden. Mit einem grauen Jeep, der rot leuchtende Minenwarnschilder trägt, fährt Alfieri Fontana heute zu einem der Minenfelder, dessen Räumung er beaufsichtigt. Olovo heißt der kleine Ort in einem Tal zwischen grünen Berghängen, ein idyllisches Städtchen im östlichen Bosnien-Herzegowina. Doch die Fassaden der hohen Mehrfamilienhäuser im Ortszentrum geben Zeugnis vom Schrecken des Krieges, der hier Anfang der 90er Jahre tobte. Unzählige Granateinschläge und Gewehrkugeln haben das Mauerwerk mit einem löchernen Spinnennetz überzogen. Die umliegenden Nadelwälder, in denen helle Sonnenstrahlen im Unterholz spielen, waren einst Schauplatz eines erbitterten Stellungskrieges zwischen bosnischen und serbischen Truppenverbänden. »Ein Krieg kann ein Paradies wie dieses in eine Hölle verwandeln«, sagt Alfieri Fontana und schreitet das gelbe Absperrband ab, auf dem »Pozor Mine« – »Achtung Mine« zu lesen ist. Auf roten Plastikschildern warnen darüber hinaus weiße Totenköpfe vor der explosiven Gefahr im Boden.
Bosnien-Herzegowina erklärte 1992 seine Unabhängigkeit von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Doch der Bosnienkrieg erschuf neue Grenzen, nicht nur in den Köpfen, sondern auch territorial. Heute existieren eine bosnisch-kroatische und eine serbische Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina.
Auf der Karte, die in Alfieri Fontanas Büro hängt, sind die Grenzen der beiden Teilrepubliken in Form orangen Wolken auszumachen: Minenfelder, die eine Rückkehr der Flüchtlinge und ein Vorrücken der feindlichen Einheiten unmöglich machen sollten. Und heute, 14 Jahre nach Ende des Bosnienkrieges, sind vier Prozent der Landfläche immer noch vermint. Die gefährlichste Mine ist die PROM-1, eine in Jugoslawien hergestellte Anti-Personenmine; technisch aufwendiger produziert als andere und ohne verlässliches Verfallsdatum. Ein kaffeedosengroßer Sprengsatz mit einem Zündkopf, der durch das Zusammendrücken einer Spirale ausgelöst wird. »Sie tötet nicht nur die Person, die auf sie tritt, sondern verletzt durch Schrapnellgeschosse auch Menschen meist lebensgefährlich, die sich im Umkreis von 50 Metern aufhalten«, erklärt Fontana.
Der Stolz auf die eigenen Minen verflog
In den Worten des studierten Ingenieurs scheint stets eine gewisse Bitterkeit mitzuschwingen. Während seiner Arbeit auf dem Balkan fiel Alfieri Fontana einmal eine Mine in die Hände, die er selbst konstruiert hatte. Auch wenn er es vielleicht hätte voraussehen müssen, ihm wird dieser Tag immer im Gedächtnis bleiben: »Es war ein Schlag für mich. Ich war fast sicher, hier keine italienischen Minen zu finden. Und es ist nicht nachzuvollziehen, wie diese hier hingekommen sind. Wir haben damals 10 000 Stück eines Prototypen produziert und diese zu gleichen Teilen an Deutschland, Frankreich und die USA verkauft, die sie testen wollten. Mein Vater sagte mir, mach ein I für Italien drauf. Das war einfach italienischer Stolz. So konnte ich die Mine dann aber einwandfrei als die unsere identifizieren.«
Auch wenn der Verkauf von Minen und ihren Komponenten ins Ausland von den westeuropäischen Staaten streng kontrolliert wurde, so lassen sich Minen auf der ganzen Welt in den blutigsten Konflikten der letzten Jahrzehnte finden. Andere Minen der Waffenfabrik Tecnovar, die einst an Ägypten verkauft worden waren, wurden 1996 durch UN-Mitarbeiter von bewaffneten Hutu-Truppen in Ruanda konfisziert. Wie sich bald darauf herausstellte, hatte Ruanda dafür Tee an Ägypten geliefert. Laut dem »Landminenreport« der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verkaufte Ägypten auch noch an mindestens sieben andere Staaten seine Minen weiter: Afghanistan, Angola, Eritrea, Äthiopien, Irak, Nicaragua und Somalia. Der internationale Waffenmarkt bleibt letztlich autonom. »Krieg ist ein perverses Geschäft«, resümiert Alfieri.
Das hatte der italienische Unternehmer Anfang der 90er Jahre noch anders gesehen. Da bedeuteten kriegerische Auseinandersetzungen für ihn ganz einfach einen lukrativen Handel. Erste Zweifel daran ließ in ihm erstmals das persönliche Anschreiben eines italienischen Bischofs aufkommen. Monsignore Tonino Bello, der damalige Vorsitzende von Pax Christi Italien, schrieb ihm einen langen Brief über die Verantwortung italienischer Waffenhersteller für das Leid tausender Menschen auf der Welt, die Arme und Beine durch Landminen verlieren. Meistens in Unfällen, die sich ereignen, wenn der eigentliche Konflikt schon längst vorbei ist. Bello appellierte an Fontanas Gewissen: »Sie haben doch auch Kinder.«
Kalt ließ Alfieri Fontana dieser Appell nicht. Die wirkliche Kehrtwende löste dann aber tatsächlich niemand anderes als sein eigener Sohn aus. Beim obligatorischen Initialisationsbesuch im Familienunternehmen fragte dieser den stolzen Vater geradeheraus, ob er ein Mörder sei. Als Fontana daraufhin stotternd die Standardantwort seiner Familie gibt: »Irgendjemand auf der Welt wird immer Waffen produzieren«, erwidert sein Sohn, »Aber warum du?« »Für mich war es wie ein Dolch ins Herz«, erinnert sich Fontana.
Endgültiger Abschied von der Rüstung
Ab 1993 versucht der erfolgreiche Waffenproduzent Fontana, seine Fabrik umzustrukturieren, wenigstens andere Waffentypen zu produzieren. »Meine persönliche Entwicklung war nicht mehr rückgängig zu machen.« Vier Jahre später schließt er endgültig die Fabrik. Über eine Millionen Landminen waren bis dato von Tecnovar produziert worden. Alfieri nimmt zur italienischen Anti-Minen-Kampagne Kontakt auf, geht 1997 zu den Verhandlungen über ein internationales Verbot mit nach Oslo. »Der Bann von Anti-Personenminen war ein großer Erfolg. Heute haben das Abkommen 156 von 193 Staaten der Erde unterzeichnet. Zwar ist es schwer zu schätzen, wie viele Minen noch irgendwo zum Verkauf gelagert sind, neue werden aber höchstens noch von Ländern wie China produziert; zuvor waren es über 50 Staaten gewesen«, erklärt er.
Doch der überwältigende Erfolg auf internationaler Ebene ist für den Ingenieur kein Grund, sich in ein glückliches Privatleben zurückzuziehen. Zwei Jahre später unterzeichnete er den Vertrag mit der italienischen Nichtregierungsorganisation Intersos und geht als Ausbilder von Minenräumern auf den Balkan. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. »Irgendwie habe ich meinen Weg gefunden«, sagt Alfieri und schaut in den blauen Sommerhimmel Bosniens.
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