Bayern gegen Brennstäbe im Böhmerwald

Die CSU erregt sich über tschechische Endlager-Pläne und vergisst den Atommüll vor der eigenen Tür

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ganz klar, wer Atommüll produziert, braucht ein Endlager dafür. Das sieht auch Bayerns Landesregierung nicht anders – so lange es weit weg ist. In Gorleben beispielsweise. Doch nun will Tschechien ein solches Lager in Grenznähe bauen ...

Chanovice, nur knapp 50 Kilometer von Plzen entfernt, ist ein reizender Ort. Die einstige gotische, später barock umgebaute Feste derer von Chanovsky von Dlouba Ves ist wie geschaffen für Tourismus. Damit ließe sich schon wegen der Grenznähe zu Deutschland so einiges verdienen. Doch nun, so befürchten Wirtsleute, Bürgermeister und Umweltschützer, ist es vorbei mit solchen Plänen. Denn der Ort steht auf einer Liste von sechs möglichen Standorten, an denen der Atommüll tschechischer Atomkraftwerke vergraben werden könnte.

Tschechien hat zwei Atomkraftwerke: Temelin mit zwei und Dukovany mit vier Reaktoren. Beide Werke sind von Pannen verfolgt. Sogar in Temelin, dessen sowjetische Reaktortechnik mit westlichen Steuerungssystemen »aufgewertet« wurde, sind Störfälle an der Tagesordnung.

Bislang werden die nuklearen Abfälle der beiden Kernkraftwerke vor der eigenen Reaktortür gelagert. Zwischengelagert. So wie es an den deutschen Standorten auch geschieht. Eine Lösung auf Dauer ist das nicht. Zur langfristigen Entsorgung der verbrauchten Brennstäbe sucht die Prager Regierung derzeit deshalb – so wie die deutsche – nach einem geeigneten Endlager-Platz.

Die zuständige Entsorgungsbehörde SURAO hatte zunächst 30 Vorschläge unterbreitet. Daraus wurden sechs Standorte als mögliche Endlager herausgefiltert. Einer davon ist Chanovice unweit der Bezirksstadt Klatovy ausgemacht. Daneben sind die beiden militärischen Sperrgebiete Boletice bei Cesky Krumlov in Südböhmen und Hardiste in der Nähe des westböhmischen Karlovy Vary in die engere Wahl gezogen worden. Karlovy Vary liegt nur etwa 40 Kilometer von Oberfranken und der Oberpfalz entfernt, Cesky Krumlov ist gleich nah an Niederbayern und Oberösterreich gelegen.

Am ersten Januar-Wochenende demonstrierten mehrere Hundert tschechische Bürger gegen ein Endlager bei Chanovice. Jenseits der Grenze wurde der Protest mit Sympathie gesehen, denn die Standorte im Böhmerwald erregen auch die Gemüter in Bayern. Klar, dass sich das Aktionsbündnis »Plattform gegen Temelín« solidarisch zeigt. Doch auch die Christsozialen stimmen in den Protest ein. So kündigte die niederbayerische CSU bereits 2009 »entschiedenen Widerstand« an. Für Bezirkschef Manfred Weber ist es »inakzeptabel, dass ein Atommüll-Endlager mitten in einer der schönsten Naturregionen Europas« entstehen solle. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) sagt: »Wir sind besorgt und werden die Untersuchungen in Tschechien sehr genau verfolgen.«

Eva Bulling-Schröter, Umweltexpertin der Bundestags-Linksfraktion und Parteichefin in Bayern, nennt das Gerede »scheinheilig«. Gerade die Unionsparteien, die nichts lieber wollen als eine Verlängerung der Laufzeiten für deutsche AKW, sollten zunächst einmal im eigenen Land für Vernunft sorgen, statt den Wahnsinn der Atomenergie mit allerlei untauglichen Ausreden zu befördern.

Bayerns Grünen-Chef Dieter Janecek meinte: »Wer zu Hause unverdrossen auf Atomenergie setzt, hat wenig Argumente, um seinen Nachbarn davon abzuhalten.« Seine Partei wirft der CSU gleichfalls Doppelzüngigkeit vor. Auch weil die Regierungspartei jeglichen Vorstoß für eine Suche nach einem alternativen deutschen Endlager-Standort in Süddeutschland ablehne, obwohl die Planungen für den Standort Gorleben auf Eis liegen. Der Münchner SPD-Fraktionschef Franz Maget bezeichnete es als »verantwortungslos«, angesichts »dieser Bedrohung unmittelbar vor der Haustür des Freistaats ausgerechnet jetzt die Atomenergie zu propagieren«. Seltsamerweise halten sich die Umweltschützer aus Österreich, die sich bisher sehr engagiert gegen das Pannenwerk von Temelin erregt haben, noch zurück.

Laut tschechischer Entsorgungsbehörde SURAO sollen bis 2015 zwei mögliche Standorte für ein atomares Endlager ausgewählt werden. In den folgenden zehn Jahren könnte dann die endgültige Entscheidung fallen. Der Bau, so heißt es, kann frühestens 2050 beginnen, so dass die Müllbehälter nicht vor 2065 eingelagert werden können. Es ist höchst fraglich, ob bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine Lösung für den deutschen Atommüll gefunden ist, dessen Masse ein Vielfaches von dem beträgt, was Tschechien zu vergraben hat.

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