Die »Krauts« sitzen am Steuer
Fast alle klassischen britischen Autofirmen werden heute von Deutschen geleitet
Es ist nicht bekannt, wie Margaret Thatcher die Nachricht aufgenommen hat, doch die als Baroness Thatcher of Kesteven nobilitierte ehemalige britische Premierministerin wird sich in ihren Warnungen vor zu großem deutschen Einfluss in Europa bestätigt fühlen: Erstmalig ist der Chef nahezu aller klassischen britischen Automarken ein Deutscher. Auch im Zeitalter kapitalistischer Globalisierung, da die nationale Herkunft von immer geringerem Belang ist, vergrößert die Neuigkeit manche Besorgnis vor den übermächtigen »Krauts« (Deutschen). Und sie erinnert daran, wie weit die Entindustrialisierung der ehemaligen Heimat der industriellen Revolution gediehen ist.
Fast durchweg deutsche Manager führen heute, was an traditionsreichen englischen Marken übrig geblieben ist. Die Online-Ausgabe der »Times« berichtet: »Eine teutonische Übernahme von einigen der weltweit beliebtesten Automarken – die Deutschen besitzen und managen Bentley, Rolls-Royce und Mini – könnte Grund zur Sorge sein. Und die unangenehme Wahrheit lautet, dass die neuen Manager in randlosen Brillen viel mehr Erfolg bei der Fertigung englischer Autos haben als ihre Vorgänger, die Bob oder Dave hießen.«
Zufall oder nicht, die Liste ist bemerkenswert: Franz-Josef Paefgen ist Boss von Bentley, derzeit Teil des VW-Konzerns. Jochen Goller ist Mr. Mini. Torsten Müller-Ötvös lässt sich in die Kalbslederfauteuils von Rolls-Royce (beide BMW) fallen. Ulrich Bez sitzt bei Aston Martin am Steuer. Eigentümer von Jaguar-Land Rover ist der Chef von Indiens Autokonzern Tata, Kant, doch er hat gerade mit Ralf Speth einen deutschen Manager ernannt. Die einzige ursprünglich britische Marke ohne deutschen Chef ist Lotus, wo Dany Bahar führt. Aber auch das ist kein Grund, den Union Jack zu hissen, denn Bahar spricht deutsch, wenn auch in Schweizer Auslage.
Einige Marken haben zuletzt die Kurve gekriegt. Der Mini ist ein Erfolgsmodell. BMW verkaufte vom Kleinen 1,7 Millionen Stück, ein Drittel mehr als erhofft. Bentley wurde Opfer der Finanzkrise und erreichte trotzdem seine Verkaufsziele. Die Absätze bei Aston Martin zeigen nach oben. Rolls-Royce verkaufte 2009 die anvisierten tausend Stück der Nobelkarosse schlechthin.
In Fachkreisen hat die Entwicklung unvermeidlich eine Frage aufgeworfen, die die »Times« so fasste: »Sind Deutsche im Autobau auf natürliche Weise besser als wir?« Vielfach wird sie bejaht, vor allem weil »die Wertschätzung für einen Ingenieur in England«, wie Paefgen erklärte, »heute viel geringer als in Deutschland ist. Man hält in England weniger von ihnen und bezahlt sie schlechter.«
In einem anderen Punkt sind sich deutsche Manager offenbar ebenfalls einig: Sie finden englische Modelle rassiger als deutsche. Ulrich Eichhorn, Chefingenieur bei Bentley: »Im Streben nach Perfektion wird deutschen Autos jede persönliche Note herauskonstruiert. Sie sind wie ein Mensch, in allem vollkommen, aber nicht besonders einladend, witzig oder charmant. Englische Autos haben mehr Emotion, mehr Charme, mehr Seele.« Aber sind sie auch noch englisch?
Im Übrigen hat kürzlich die Deutsche Bahn bestätigt, dass sie Arriva übernehmen wird – eines der größten britischen Transportunternehmen, das neben Bahnlinien auch die meisten roten Londoner Busse betreibt. Nicht mal die wären dann noch »very british«.
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