Der Weichspüler

David Cameron hat die Tories wählbar gemacht

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Groß, schlank und ein Orator, der manuskriptfrei redet, sich als Anwalt des gesunden Menschenverstands und aufgeklärten Konservativen à la Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger sieht, von Kritikern dagegen als unerprobt und eiskalt, als Schwätzer und Oberklassen-Pinkel abgetan wird – David Cameron, der mögliche neue Regierungschef von den Konservativen (Tories), hat seine Partei nach 13 Jahren Opposition zur stärksten Kraft gemacht.

Der mit 43 Jahren jungenhaft wirkenden David Cameron könnte in den kommenden Tagen seinen politischen Aufstieg krönen. Der in London geborene Sohn eines Börsenmaklers und direkte Nachfahre König Williams IV. (1765 – 1837) ist mit einer Frau adliger Herkunft verheiratet, hat zwei Kinder und im Februar 2009 seinen ältesten, von Geburt an schwer behinderten Sohn im Alter von nur sechs Jahren verloren. Seit seinem Parlamentseinzug 2001 vertritt er den Wahlkreis Witney, eine reiche Gegend um den Marktflecken unweit von Oxford – eine Tory-Hochburg.

Der selbstbewusste Cameron, mit jenem neutralen, keiner Region zuzuordnenden Akzent, der in Großbritannien immer mit privilegiertem Start ins Leben einhergeht, ist Absolvent von Eton College, der berühmtesten Privatschule des Landes. Er studierte Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Oxford und beendete 1988 mit Auszeichnung. Peter Sinclair, sein Ökonomie-Professor, sagt: »Wir hatten bisher nur wenige Premierminister, die intellektuell so fähig waren wie David.« Vernon Bodganor, einer der namhaftesten Staatsrechtler, gleichfalls Oxford University: »Er war einer der begabtesten Studenten, die ich je unterrichtete.«

Cameron stieg in die Forschungsabteilung der Tory-Zentrale ein, leitete eine PR-Firma und arbeitete in der Regierung unter John Major als Junior-Berater im Finanz- und Innenministerium. Anfang Dezember 2005 gelang ihm ein bis dahin beispielloser Coup in Großbritanniens Geschichte: Nach nur vier Jahren Parlamentszugehörigkeit und gerade 39 Jahre alt geworden, stieg der Nobody zum Parteiführer auf. Bereits kurz darauf lieferte er sich im Unterhaus das erste Duell mit dem damaligen Labour-Premier Tony Blair. »Ihre Zukunft liegt hinter Ihnen«, hielt Cameron Blair entgegen und lag damit nicht falsch. 2007 trat letzterer zugunsten Browns zurück.

Allerdings war nach drei verlorenen Wahlen und vier verschlissenen Parteiführern seit Regierungschefin Margaret Thatcher (1979-1990) auch die Verzweiflung der Konservativen darüber gewachsen, dass sie einfach keinen Weg nach Downing Street fanden. Die Bereitschaft der Tories im Dezember 2005, es mit einem Neuling zu versuchen, ist ohne die langjährige Parteikrise davor nicht zu erklären. Die drei Amtszeiten der »Eisernen Lady«, die das soziale Netz des Landes zerrissen, sowie die von Skandalen überschattete Regierung John Majors (1990 – 1997) hatten die Konservativen zu Parias gemacht, in deren Nachbarschaft niemand gesehen werden wollte.

Erste Aufgabe des neuen Chefs Cameron war es daher, die Partei in der öffentlichen Wahrnehmung zu entgiften, weich zu spülen und ihr ein neues Image zu verschaffen. So beklagte Cameron 2006 zum 25. Jahrestag der Unruhen im Londoner Stadtteil Brixton die Armut im Lande als »wirtschaftliche Vergeudung und moralische Schande«. Er spricht heute von einem »kaputten Großbritannien«, äußert Verständnis für sozial benachteiligte Jugendliche oder die Notwendigkeit stärkeren Umweltschutzes. Im jetzigen Wahlkampf erklärte er wiederholt: »Harte Zeiten stehen uns bevor.« Er nahm Bezug auf die horrende Staatsverschuldung von rund 170 Milliarden Pfund, die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte, steigende Arbeitslosigkeit und zahlreiche neue Korruptionsfälle, die sowohl Labour als auch Camerons Konservative erschütterten. Beide Parteien hatten einander im Spesenskandal 2009 übertroffen und dafür gesorgt, dass bei einer Umfrage »politische Parteien« mit 60 Prozent die Gruppierung wurden, die sich unter Briten des größten Misstrauens »erfreut« – noch vor der Regierung (48 Prozent), Medien (47), Banken (37) oder Polizei (10).

Für den Fall seiner Regierungsübernahme ist in einigen Punkten ungewiss, wie Camerons Partei handeln wird. Er, der »mit Bauchschmerzen« für den Irak-Krieg von Bush und Blair gestimmt haben will, der mit der Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates »eine Art Kriegskabinett« für den weiteren Umgang mit dem Afghanistan-Feldzug Großbritanniens ankündigte, er, der ein Referendum zum Lissabon-Vertrag plant, wird von vielen als schwer zu fassendes Chamäleon gesehen. Sein wahres Gesicht werde sich nun rasch zeigen, sagen Kritiker. Ein Journalist, der lange für »Financial Times« und »Guardian« schrieb, erwartet von den neuen Tories »soziale Streichungen, weit verbreitete Unzufriedenheit, Lügen sowie Unsicherheit im Land und darüber hinaus«. Das liegt nah bei einer Warnung, die ein prominenterer Landsmann, der Gouverneur der Bank von England, äußerte: Wer immer neuer Premier werde, so Mervyn King, müsse so drastisch sparen, dass seine Partei riskiere, für eine Generation in der Versenkung zu verschwinden. Den Weichspüler erwarten harte Zeiten.

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