Minister zum Anfassen
Konferenz der LINKEN zu sechs Monaten Rot-Rot / 80 Genossen im Borgsdorfer »Lindeneck«
»Wir erläutern und ihr fragt bitte nach«, sagte Landtagsfraktionschefin Kerstin Kaiser. Ohne einen engen Draht zur Partei funktioniere es nicht. Nach einem halben Jahr rot-roter Koalition in Brandenburg suchen verantwortliche Politiker der Linkspartei wieder einmal das Gespräch mit der Basis. Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete und der Landesvorsitzende Thomas Nord informieren bei vier Regionalkonferenzen über aktuelle Projekte und beantworten Fragen.
Die erste der Konferenzen gab es am Sonnabend in der Borgsdorfer Gaststätte »Lindeneck«. Umweltministerin Anita Tack ließ sich kurzfristig entschuldigen. Wegen des Oderhochwassers musste sie wieder an die Deiche. Knapp 80 Leute füllten den Saal.
Man müsse sich nicht vor der Opposition oder vor den Medien verantworten, sondern vor der Partei und in fünf Jahren vor den Wählern, meinte Fraktionschefin Kaiser. Verantwortung zu übernehmen, das heiße nicht, »wir machen jetzt, was wir wollen, jetzt sind wir dran«. Es bedeute, das zu tun, was möglich sei. Sie könne verstehen, wenn jemand enttäuscht sei, weil er sich von Rot-Rot mehr erwartet hätte. Sie hätte sich selbst eigentlich auch mehr gewünscht, bekannte Kaiser. Doch man müsse anerkennen, dass es zumindest kleine Schritte in die richtige Richtung gebe. Sie wolle sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die CDU weiter an der Regierung in Brandenburg beteiligt wäre und CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig das Amt der Finanzministerin übernommen hätte.
Als eine vorrangige Aufgaben für das laufende Jahr nannte Kaiser den Start des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Daran werde gearbeitet und man genieße Zustimmung aus den Gewerkschaften. Susanne Stumpenhusen, Landesbezirkschefin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, stehe mit ihrer Kritik an dem Beschäftigungssektor ziemlich alleine da. Stumpenhusen hatte Unverständnis geäußert, dass Jobs für Langzeitarbeitslose geschaffen, aber zugleich gut bezahlte Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden sollen. Als vorrangig gilt der LINKEN auch ein Gesetz, das Mindestlöhne bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorschreibt. Betroffen werden zunächst allerdings nur Aufträge des Landes sein. Wenn das Land den Kommunen auch Mindestlöhne vorschreiben würde, müsste es ihnen die Mehrkosten ersetzen, und dafür fehlt momentan das Geld.
Eine Rückkopplung wünsche man sich, hieß es in der Einladung zur Regionalkonferenz. Neudeutsch war von einem »Feedback« die Rede. Die Idee kam an, der Begriff allerdings nicht. »Die können mich am Arsch lecken mit ›Feedback‹«, grummelte ein älterer Genosse und erntete für seinen deftigen Satz heitere Zustimmung von den in der Nähe Sitzenden. Rückkopplung jedoch, die gab es. So schlug der Handwerker Wolfgang Ackermann aus der Uckermark einen Flyer vor – tatsächlich sagte er nicht Faltblatt. Auf dem Flyer sollten die wirtschaftspolitischen Forderungen der LINKEN zusammengefasst werden. Wirtschaftsminister Ralf Christoffers ging auf diesen Vorschlag ein. Das sollte man tun, meinte er.
Der eine bekundete während der Konferenz generelle Solidarität, der andere – ein Kriminalpolizist – äußerte Unmut über die geplante Streichung der 500 Euro Weihnachtsgeld für die Beamten. Dass es nicht anders gehe, erläuterte Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski. Sie erwähnte eine Lücke von 333 Millionen Euro im Etat 2011. Diese Lücke könne nicht allein dadurch geschlossen werden, dass man beispielsweise die Grunderwerbssteuer anhebt, was 37 Millionen Euro bringt. Auch an die Ausgaben müsse man heran.
Viele Fragen wurden gestellt: Muss der Neffe wegen des beabsichtigten Stellenabbaus um seinen Arbeitsplatz bei der Polizei fürchten? Niemand erhält im öffentlichen Dienst des Landes Brandenburg eine betriebsbedingte Kündigung, auch wenn tausende Stellen wegfallen. Es werden sogar noch zig Leute eingestellt, weil in den nächsten Jahren so viele Kollegen in den Ruhestand treten. Kann die russische Freundin mit in den Urlaub nach Tunesien fliegen oder verstößt sie damit gegen die Residenzpflicht? Wenn die Frau Asylbewerberin ist, dann wäre das ein Verstoß. Die Residenzpflicht wird gelockert, aber es gibt erst einzelne kleine Verbesserungen. Insgesamt dauert es noch. Bekommt Velten einen Anschluss an die Berliner S-Bahn? Wer weiß, aber Finanzminister Helmuth Markov unterzeichnete immerhin eine entsprechende Unterschriftenliste.
Geht von unterirdischen CO2-Lagerstätten eine Gefahr aus? Das könne gegenwärtig keiner sagen, erklärte der Wirtschaftsminister. Dies müsse erst wissenschaftlich untersucht werden. »Wenn die Lagerstätten nicht dicht sind, wird dort natürlich nicht gespeichert.«
Vom rustikalen Ambiente der Gaststätte »Lindeneck« fühlte sich Justizminister Volkmar Schöneburg an eine Versammlung von Ferdinand Lassalles Arbeiterverein erinnert. Er würde sich auch gern ein Glas Bier bestellen, »wie der Genosse hier vorne«, bekannte Schöneburg. Doch er zögerte damit und berichtete erst einmal von 61 zusätzlichen Stellen für die Sozialgerichte, die er organisiert habe, um die Verfahrenszeiten zu reduzieren. Zwei bis drei Jahre müssen Bürger derzeit noch auf ein Urteil warten.
Minister zum Anfassen wünschte sich mancher Genosse. »Kommt ruhig nach vorn«, ermunterte Kerstin Kaiser lächelnd, wies aber darauf hin, sie selbst sei ja keine Ministerin. Kommentar Seite 4
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