- Kultur
- 44. Montreux Jazz Festival
Dandy außer Atem
Enttäuschender Auftakt des 44. Montreux Jazz Festival mit Roxy Music
Eine Zeitreise von vier Jahrzehnten gilt es allabendlich zu absolvieren, wenn Roxy Music anno 2010 ein Konzert gibt. Die Ausstrahlung der für Glam und New Wave Richtung weisenden Formation stand und fiel – besonders seit dem Fortgang Brian Enos im Jahr 1973 – mit der Stimme ihres dandyesken Frontmannes. Doch um das Bildnis des Brian Ferry muss es schlecht bestellt sein, denn trotz gewohnt geschmacksicherer Garderobe und sorgfältig gepflegtem Äußeren fällt die Maske schon nach wenigen Minuten: Seine Stimme konnte nicht über knapp dreißig Jahre seit dem grandiosen Band-Finale mit den Alben „Flesh and Blood“ und „Avalon“ konserviert werden. Das Eröffnungskonzert des 44. Montreux Jazz Festival am 2. Juli im Auditorium Stravinski hinterließ einen zwiespältigen Eindruck und endete nach 90 Minuten abrupt ohne Zugaben.
Das Dilemma des Abends lässt sich am besten mit „Jealous Guy“ nachzeichnen. Der Titel wurde im Februar 1981 als Tribut an John Lennons Tod veröffentlicht und blieb einziger Nummer Eins-Erfolg von Roxy Music in England. Ferry gelang es, den schlichten Song neu zu definieren und ihn als eine der 1980er Hymnen nachhältig in den Ohren des Publikums zu verankern. Die präzise Instrumentierung wurde mit schillernd-sanftem Gesang zum mondänen zeitgenössischen Statement. Höhepunkt war die Ausblende, die Ferrys Pfeifen über einen schwelgenden Soundteppich legt und scheinbar nie enden möchte. In Montreux konnten auch vier in weiße Kleider gewandete stimmgewaltige Sängerinnen nicht verhindern, dass von dieser Magie nichts blieb, die Nummer wurde pflichtbewusst in Kurzversion abgeliefert. Brian Ferry zeigte dem Publikum meist den Rücken, wenn er nicht gerade von der Bühne verschwunden war und deutete höchstens ab und an ein Tänzchen mit einigen Trippelschritten an. Den bald 65 Jahre alten Perfektionisten wird sein Konditionsproblem wohl selbst am meisten geärgert haben. Schwitzattacken mit unablässigem Sturzbächen von Schweißtropfen gehören nicht zu den bevorzugten Gestaltungsmitteln eines Dandys.
Das Repertoire fokussierte auf die Siebzigerjahre – damals waren Roxy Music Pioniere und konnten auch mit einem Auftritt beim Montreux Festival im Jahr 1973 überzeugen. Allerdings hätte mancher doch gern „Avalon“ oder „Dance away“ aus dem folgenden Jahrzehnt gehört. Seit mehreren Jahren werkeln die Rockrentiers an einem neuen Album – es wäre das erste nach 28 Jahren – doch eine Veröffentlichung scheint nicht absehbar zu sein, obgleich bis 2008 schon 18 Titel eingespielt wurden. Einige auch mit Brian Eno, den viele Besucher gern in Montreux mit auf der Bühne gesehen hätten.
„Es ist nicht nur die Stimme“ – meinte ein Besucher nach dem Konzert. Trotz hervorragender musikalischer Leistungen der elfköpfigen Formation um den atemlosen Sänger wollte keine Stimmung aufkommen. Das Publikum war willig, doch die Darbietung bot keinen Funken, der aus der Routine einer Greatest-Hits-Revue das beeindruckende Konzerterlebnis gemacht hätte. Andy Mackay etwa gab sich am Saxophon und an weiteren Blasinstrumenten jede Mühe, die Legende dieser Band für den Moment des Konzerts wiederzubeleben. Auch Phil Manzanera überzeugte mit seiner Gitarrenarbeit. Überraschung des Abends der 23-jährige Gitarrist Oliver Thompson, der die meiste Zeit leicht deplatziert zwischen den ergrauten Helden wirkte, sich aber mit einem famosen Solo für die einzigen Publikumsovationen des Abends sorgte.
Erst nach einer Stunde wurde die Betriebstemperatur erreicht und mit „Virginia Plain“ und „Love ist he drug“ gelingen in kompakten und dichten Arrangements. Doch mit „Do the Strand“ war kurz darauf auch schon das Ende der gerade in Fahrt kommenden Party erreicht, abrupt und nach exakt 90 Minuten. Zurück blieb ein Publikum ohne Zugaben und teilweise sichtlich ratlos.
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