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Wo die Küche eng ist
Fish Tank - von Andrea Arnold
Spät kommt der Moment der dramatischen Angst in »Fish Tank«. Jener Moment auf der Leinwand, da die human condition im real existierenden Kapitalismus den Menschen an seine Grenzen bringt und der Kinosessel nicht länger ein Ding zum Zurücklehnen ist. Als Mia versucht, sich Connor, in den sie verliebt ist, zu nähern und der mit seiner Frau hinter jener Haustür verschwindet, ist der Moment da. Jener Moment, da Mias Gefühle, bisher eher verborgen, gnadenlos zum Ausbruch kommen.
Es gibt einen solchen dramatischen Augenblick in vielen sozialkritischen Dramen des britischen Films: In »My Name ist Joe« von Ken Loach, als Joes Freund Liam sich in dessen Wohnung erhängt, in »Vera Drake« von Mike Leigh, da die Polizei sie in den Verhören kleinkriegt, auch in dem vergleichsweise leichten »Billy Elliot« von Stephen Daldry kommt die Angst, als Vater und Bruder aufeinander losgehen, und natürlich in »It's A Free World«, Ken Loachs jüngstem Film, als die betrogenen Arbeiter die Geschäftsfrau Angie fesseln und knebeln …
»Fish Tank« wird zunächst episch erzählt. Gleich zu Beginn greift die 15-jährige Mia, die die Schule abgebrochen hat, gleichaltrige Mädchen nicht nur verbal, sondern auch körperlich an. Die Sozialwohnung, die sie mit der jungen, arbeitslosen Mutter Joanne und der kleinen Schwester Tyler teilt, ähnelt wieder irgendwie Maggies (»Lady Bird, Lady Bird«) oder Billys oder Joes Wohnung: Hausscheiben mit enger Küche, schmaler Treppe und hellhörigen Wänden.
Hier in Essex, zwischen stillgelegten Ford-Fabriken und der A13 wohnt Mia, als eines Morgens ein gutaussehender halbnackter Mann in der Küche steht und sie anlächelt: Connor, Mutters neuer Freund. Mias Verlangen erwacht, wobei lange nicht klar ist, wonach: nach dem väterlichen Freund, dem sexy Mann oder doch eher dem Mentor? Von all dem hat Connor etwas. Der Ausflug an einen See, der als Fish Tank angestaunt wird, endet mit einer Fußverletzung Mias, weshalb Connor sie bis in ihr Zimmer trägt. Für diese Zufälligkeit nimmt sich der bis dahin eher nüchterne Film plötzlich viel Zeit. Mias Atem, verwischte Konturen, Zeitlupe, Connors Hände, die ihr die Schuhe ausziehen. Später sprechen sie über Mias Tanzträume. Die Minuten, in denen Mia allein in einem verlassenen Plattenbau vor einer Videokamera unbeholfen und gelöst zugleich tanzt, sind mit die schönsten des Films. Immer stärker wird die Anziehung zwischen beiden, den möglichen Konflikt mit der Mutter spart der Film praktisch aus. Mehr als einmal sieht man die typische Handbewegung der Mutter, die schwanger wurde, als sie so alt war wie Mia heute: Sie schließt eine Tür zwischen sich und den Kindern. So macht sie sich selbst zur Randfigur der desolaten Familie.
Mias Traum von Connor und auch der vom Tanzen erfahren radikale Ernüchterung. Nachdem sie die Straßen und Häuser ihrer Siedlung passiert hat, gelangt Mia, Connor verfolgend, ans aufgewühlte Meer. Am Ende kommen beide mit Macht in der Realität an. Das dramatische Finale sprengt die Einheit der bisherigen Handlung. Das soziale Drama schlägt um: Mia wird zur Einbrecherin und Kidnapperin.
Mit den Filmen von Andrea Arnold (Jahrgang 1961) bekommt die Tradition des britischen Sozialdramas neue Töne, eine neue Sinnlichkeit, die Sicht einer jüngeren Generation. »Fish Tank« mit seinem direkten Inszenierungsstil hat Rohheit und Poesie. Die Regisseurin wird auch als Nachfolgerin von Altmeister Ken Loach bezeichnet. Das trifft es nicht ganz und trifft es doch: Allein schon die besondere Spannung zwischen Laien und Profischauspielern macht die Atmosphäre der jeweiligen Filme ähnlich. Die 17-jährige Katie Jarvis (Mia) wurde von Arnold auf einem Bahnsteig entdeckt, wo sie sich mit ihrem Freund stritt, während Kierston Wareing als Mutter (zuletzt in Ken Loachs »It's A Free World«) gründliche Schauspielausbildung und entwaffnende Körperlichkeit mitbringt. Michael Fassbender als Connor wirkt männlich sicher, gelassen fast bis zum Schluss.
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