»Colonia Corrupta« oder »auch positiver« Klüngel?
Klüngel ist kein rein kölsches Phänomen – immerhin da sind sich die Experten Überall und Rügemer einig
Frank Überall definiert Klüngel als »Anhäufen von Gewogenheit«, es gehe dabei zunächst um Kooperation und Netzwerke. All das sei förderlich für die Demokratie, weil es Kompromissbildung erleichtere. Soweit zur »positiven Seite« (Überall) des Klüngels. »Negativer Klüngel« fange da an, wo die Allgemeinheit geschädigt wird, zum Beispiel, wenn mit öffentlichen Geldern Korruption finanziert werde und nicht-demokratische Entscheidungen zustande kämen. Die Täter rechtfertigten sich in solchen Fällen durch eine »Korruptionsethik«, so der Autor des Buches »Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns«. Er wolle das Phänomen verstehen und plädierte für Trennschärfe – »ohne Schaum vorm Mund«, so Überall mit Blick auf seinen Kontrahenten Werner Rügemer.
Korruption, keine Nachbarschaftshilfe
Für den ist Klüngel schlicht eine Form der Korruption. Dabei gehe es darum, »politischen Willen zu brechen«. Stets würden Dritte geschädigt – wie beim Bau der überdimensionierten Kölner Müllverbrennungsanlage, die insbesondere zu hohe Müllgebühren nach sich zog. Bestochen werde insbesondere da, wo »kostenintensive Aufträge« winken. Nein, Klüngel sei »keine Nachbarschaftshilfe«, rief Rügemer Überall zu. »Sonst müssten wir nicht darüber reden.« Rügemers Standardwerk »Colonia Corrupta« erscheint mittlerweile in der sechsten Auflage.
Köln als Infektionsherd der Korruption
Obwohl beide aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen – Überall war Mitglied der Jungen Union, Rügemer ist Linker und ND-Autor – rankt der Konflikt sich vor allem um die Definitionsmacht: Was zur Hölle ist Klüngel? Ist er per definitionem Korruption, oder kann er lediglich in solche umschlagen?
Rügemer monierte Überall-Formulierungen nach dem Motto »ganz nahe an Korruption herangeraten«. An Hand von Beispielen wie dem KölnArena-Deal sagte Rügemer: »Da sind wir nicht an Korruption herangeraten, das ist Korruption.« Auch wenn sie wegen »zahmer Gesetze« strafrechtlich nicht als solche fassbar sei. »Natürlich ist das politische Korruption«, erwiderte Überall. Aber aus juristischen Gründen stelle er den Fall differenzierter da.
Aber haben wir es wirklich mit einem exklusiv kölschen Phänomen zu tun? Nein, sagte Überall, aber in anderen Städten sehe man »es« nicht so gut. »Dem Rheinländer liegt das Herz auf der Zunge«, glaubt Überall, »deswegen kommt es raus.« Das war Überalls schwächster Moment an diesem Abend.
Rügemer wagte den historischen Rückblick: In Köln, der »Hinterbühne der Bundeshauptstadt Bonn«, habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein »korruptives Milieu« geballt. Von hier aus sei die politische Kultur Deutschlands mit Korruption infiziert worden. Das sei ein »Geburtsfehler der Bundesrepublik«, der bis heute nachwirke. Als Urheber nannte Rügemer ein Geflecht aus Adenauer-CDU, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Bankhaus Oppenheim. Auch spätere Klüngel-Unternehmen wie RWE, Trienekens und Hochtief seien durchaus nicht originär kölsch.
Gesetze werden zu lasch gehandhabt
Kein reines Kölner Phänomen also – da waren die beiden Streithähne sich im Grundsatz, wenn auch nicht im Detail einig. Auf einer Linie lagen sie auch in ihrer Kritik korrupten Handels und der Einschätzung, dass die Gesetze, gerade bei politischer Korruption, zu lasch gehandhabt würden. Beide wetterten gegen den »Privatisierungswahn«. Schließlich gingen sie d'accord in der Kritik des monopolisierten Kölner-Medienmarktes: Zeitungszar Alfred Neven DuMont ist zugleich einer der Hauptnutznießer des Esch-Oppenheim-Fonds, der gemeinhin als Klüngel-Zentrum gilt. Was sich erheblich auf die Berichterstattung seiner Blätter auswirkt.
So weit liegt man also nicht auseinander. Vielleicht sollten Rügemer und Überall mal ein Kölschbier zusammen zischen. So begann übrigens schon manche Klüngelbrüderschaft. Ob das im konkreten Fall gut oder schlecht wäre, müssten sie dann noch erörtern.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!