»Sie schießen auf alle, die ihre Häuser verlassen«

Syrische Führung schickte Panzer in Protesthochburg Daraa / Rund 40 Tote bei groß angelegtem Militäreinsatz

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Nach einigen Zugeständnissen ist die syrische Führung wieder mit aller Härte gegen die Protestbewegung in dem Land vorgegangen.

Damaskus (AFP/dpa/ND). Nach Angaben von Augenzeugen und Menschenrechtsvertretern rückten am Montag mehr als 3000 Sicherheitskräfte unterstützt von Panzern in die südliche Protesthochburg Daraa ein und schossen willkürlich um sich. Flankiert von schweren Armeefahrzeugen drangen demnach die Sicherheitskräfte nach Daraa ein. Scharfschützen hätten auf den Dächern Stellung bezogen, sagte ein Aktivist. »Es gibt eine Ausgangssperre. Sie schießen auf alle, die ihre Häuser verlassen«, so ein Augenzeuge. Auch auf Wassertanks werde geschossen, um die Vorräte der Bewohner zu zerstören.

Bei dem groß angelegten Militäreinsatz wurden nach Angaben von Augenzeugen mindestens 39 Menschen getötet. Die Sicherheitskräfte feuerten demnach mit schwerer Artillerie auf die Stadt. Die genaue Zahl der Toten sei aber nicht zu ermitteln, weil viele Opfer noch auf den Straßen lägen, berichteten mehrere Aktivisten. Sowohl die Stromversorgung als auch das Telefonnetz seien weitgehend zusammengebrochen.

Nach Angaben der jordanischen Regierung riegelte Syrien im Zuge des Einsatzes die nahe Daraa gelegene Grenze zum Königreich ab. Auch ein Augenzeuge, der an der Einreise gehindert worden war, bestätigte die Schließung der Grenzposten Daraa und Naseeb. Der syrische Zoll wiederum wies die Angaben zurück. In Daraa hatte Mitte März die Protestbewegung gegen Präsident Baschar al-Assad ihren Anfang genommen.

Auch in Duma und El Muadamijah nahe der Hauptstadt Damaskus gingen Sicherheitskräfte am Montag gegen die Protestbewegung vor. Duma sei »vom Rest der Welt abgeschnitten«, sagte ein Aktivist. Sicherheitskräfte hätten eine Moschee in der Stadt umstellt und würden willkürlich schießen. Seit Sonntag gebe es eine Verhaftungswelle in der Stadt.

Bei Gewalt durch Sicherheitskräfte kamen seit Freitag nach Angaben von Aktivisten mehr als 150 Menschen ums Leben. Die syrische Menschenrechtsorganisation Insan mit Sitz in Sevilla teilte mit, dass seit dem Tag zudem mehr als 220 Menschen verschwunden seien. Seit Beginn der Protestbewegung Mitte März wurden nach einer Zählung von AFP über 350 Menschen in Syrien getötet.

Die syrische Führung habe sich für eine »militärische Lösung« entschieden, um die Protestbewegung unter Kontrolle zu bringen, sagte der Aktivist Rami Abdel Rahmane von der Organisation Syrisches Observatorium für Menschenrechte. Die Führung instrumentalisiere dazu ein am Donnerstag verkündetes Gesetz, wonach Demonstrationen fünf Tage im Voraus beim Innenministerium anzumelden sind. Assad hatte am Donnerstag den seit fast 50 Jahren geltenden Ausnahmezustand aufgehoben.

Die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf. Sie rief zu einem »unverzüglichen Ende des Blutbads« und zum Schutz friedlicher Demonstranten auf. Human Rights Watch forderte Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Schießbefehle. Es reiche nicht mehr, die Gewalt zu verurteilen, erklärte die Organisation. Einem Bericht des »Wall Street Journal« zufolge arbeitet die US-Regierung an Sanktionen gegen Vertraute von Assad.

Beim Vorgehen gegen Demonstranten in Daraa nimmt sich Assad offensichtlich seinen Vater und Amtsvorgänger Hafez al-Assad zum Vorbild: Der hatte 1982 die rebellische Stadt Hama sogar wochenlang bombardieren lassen. Wie viele Opfer es in Hama gab, ist bis heute unklar. Syrische Exilpolitiker um den ehemaligen Staatspräsidenten Amin al-Hafin sprachen 1983 von 35 000 bis 38 000 Toten. Der israelische UN-Delegierte Jehuda Blum nannte hingegen 1983 in New York mit 10 000 bis 25 000 Toten deutlich niedrigere Zahlen. Kommentar Seite 4

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