Frankreichs Linke auf der Überholspur

Wahlen zum Senat brachen jahrzehntelange Vorherrschaft der Rechten

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Sieben Monate vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat die rechtsgerichtete Regierungsmehrheit eine Niederlage erlitten. Erstmals seit Gründung der Fünften Republik 1958 gewannen die Linksparteien die absolute Mehrheit im Senat, von dem in indirekter Wahl am Sonntag die Hälfte der Sitze neu bestimmt wurde. Sozialistenchef Harlem Désir sprach vom »ersten Akt« zur Rückeroberung der Macht.

Paris (Agenturen/ND). Laut dem in der Nacht zu Montag bekannt gegebenen Endergebnis kommt die linksgerichtete Opposition auf 177 der insgesamt 348 Sitze im »Oberhaus«. »Die Linke hat zum ersten Mal den Wechsel geschafft«, sagte der Fraktionschef der Sozialistischen Partei (PS) im Senat, Jean-Pierre Bel, der nun Präsident der zweiten Kammer werden könnte. »Das ist mehr als eine Niederlage, das ist ein Trauma für die Rechte«, meinte der sozialistische Spitzenpolitiker François Hollande, der sich um die Präsidentschaftskandidatur der Sozialistischen Partei im kommenden Jahr bewirbt. Der frühere Parteichef der Sozialisten bezeichnete das Ergebnis als Zeichen für einen »Zerfall des Systems Sarkozy«.

Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire, der für Staatschef Nicolas Sarkozy den Wahlkampf um die Präsidentschaft 2012 vorbereitet, räumte ein, das Regierungslager habe eine »ernsthafte Warnung« erteilt bekommen. »Mit diesem Abend beginnt die Schlacht«, kündigte Regierungschef François Fillon mit Blick auf die kommende Wahl im Frühjahr an.

Bei der Wahl am Sonntag hatten knapp 72 000 Wahlmänner die Hälfte der Senatoren neu bestimmt. Die Grünen konnten ihre bisher vier Mandate auf zehn mehr als verdoppeln. Wahlbeobachter hatten vor allem unpopuläre Gebietsreformen als Grund für Zugewinne der Sozialisten ausgemacht.

Mit Spannung wird bereits die Wahl des neuen Senatspräsidenten am kommenden Samstag erwartet. Falls der Staatspräsident ausfällt, ist es der Vorsitzende des Oberhauses, der die Geschicke Frankreichs bis zu Neuwahlen lenkt. Der amtierende Senatspräsident Gérard Larcher von der Präsidentenpartei UMP kündigte bereits an, er werde gegen Jean-Pierre Bel antreten. Da es dabei auf jede Stimme ankommt, rechnet Larcher mit der Unterstützung der Minister der UMP, die neu in den Senat gewählt wurden.

Sportministerin Chantal Jouanno kündigte bereits am Montag an, sie werde ihr Ministeramt abgeben, um den Sitz im Senat einzunehmen. Nur so kann sie sich auch an der Abstimmung über den Senatspräsidenten beteiligen. Verteidigungsminister Gérard Longuet, der als Säule der Regierung gilt, versicherte, er werde in der Regierung bleiben.

Für Sarkozy ist der Verlust der Mehrheit im Senat eine schwere Schlappe, zumal noch Abstimmungen über so wichtige Themen wie den Haushalt 2012 anstehen, mit dem sich am Mittwoch bereits das Kabinett befasst. Mehr als fraglich ist nun das von Sarkozy geplante Festschreiben der Schuldenbremse (»Goldene Haushaltsregel«) in der Verfassung. Für Verfassungsänderungen ist eine breite Zustimmung beider Kammern des Parlaments nötig – und die Sozialisten haben bereits ihre Ablehnung erklärt. Das »Oberhaus« kann jedes Votum der Nationalversammlung durchkreuzen, indem es gegen ein bereits von den Parlamentariern verabschiedetes Projekt stimmt. Falls danach eine Vermittlung scheitert, hat allerdings die Nationalversammlung das letzte Wort.

Präsident Sarkozy hat seit seinem Amtsantritt 2007 jeden Urnengang – mit Ausnahme der Europawahlen – verloren. Ermittlungen um Schmiergelder aus Pakistan für den Präsidentschaftswahlkampf seines Ziehvaters Edouard Balladur bringen Sarkozy gegenwärtig zusätzlich unter Druck. Ins Visier der Justiz geriet vergangene Woche auch Sarkozys langjähriger Innenminister Brice Hortefeux, der eigentlich sein Wahlkampfberater werden sollte. Offiziell hat Sarkozy, der in Umfragen hinter dem Sozialisten Hollande liegt, seine Kandidatur allerdings noch nicht verkündet. Seite 2

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