Angezogene Bremsen schuld?
Flugzeugabsturz bei Jaroslawl offenbart gravierende Mängel bei Pilotenausbildung
Es ist ein Experiment der besonderen Art, das am Montag auf dem Militärflugplatz Schukowka bei Moskau begann und mehrere Tage dauern wird. Testflieger und Konstrukteure starten dort mit einer Jak 42-M und werden dabei alles genauso machen wie die Besatzung einer Maschine dieses Typs, die im September bei Jaroslawl abstürzte. 44 Menschen starben, darunter die gesamte Eishockeymannschaft der Stadt, eine der besten in Russland. Sie hatte auch den deutschen Nationalspieler Robert Dietrich unter Vertrag.
Die Jak-42 erreichte beim Start zunächst nicht die zum Abheben nötige Geschwindigkeit, schoss daher über die Rollbahn hinaus, stieg dann zwar doch auf, fiel in knapp zwei Kilometern Entfernung jedoch auf die Erde. Nach Auswertung der Flugschreiber und Befragung des Bordingenieurs - des einzigen Überlebenden der Katastrophe - geht das Zwischenstaatliche Komitee für Flugwesen, das die Tragödie untersucht und dazu auch das Experiment in Auftrag gegeben hat, von menschlichem Versagen aus. Wahrscheinlich hatte die Besatzung vergessen, die Standbremse zu lösen.
Zwar hatten Kreml und Regierung gleich nach dem Unglück Sicherheitsvorschriften und Zulassungskriterien für russische Fluglinien drastisch verschärft. Eine davon - die Air nova, die aggressiv mit Billigflügen warb - ist ihre Lizenz seit gestern los.
Das eigentliche Problem, so das staatliche Fernsehen, das sich am Sonntag nochmals mit dem bisher schwärzesten Jahr für Russlands zivile Luftfahrt auseinandersetzte, seien indes nicht Mängel bei Technik und Sicherheit, sondern die Ausbildung des fliegerischen Nachwuchses. Fazit: Ausgerechnet Russland, das über eines der weltweit größten Streckennetze verfügt, hat jetzt, wo sich die letzten zu Sowjetzeiten ausgebildeten Piloten in den Ruhestand verabschieden, akuten Mangel an fähigem Nachwuchs.
Zu Sowjetzeiten bildeten die Fliegerschulen jährlich rund 5000 Flugzeugführer aus. In Russland sind es derzeit gerade 200. Bewerber sind rar, obwohl Piloten mit 85 000 Rubel - rund 2000 Euro - um mehr als das Doppelte über dem Durchschnittsverdienst liegen. Der Nachwuchs wird mehrheitlich noch immer an der Jak-18 ausgebildet, einem Schulflugzeug, das kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Dienst gestellt wurde, dafür aber keine Probleme mit den kurzen und holprigen Landepisten - Markenzeichen der meisten Fliegerschulen - hat. Von innen sehen deren Absolventen das Cockpit moderner russischer Maschinen meist erst nach Anstellung bei den Airlines. Diese, so der einstige Testflieger und heutige Ausbilder Dmitri Barilow, brauchten mindestens zwei Jahre, um den Nachwuchs nach dem Prinzip »learning by doing« wenigsten für den Job des Kopiloten fit zu machen. Vor dem Armaturenbrett eines modernen westlichen Passagierflugzeuges dagegen würden Piloten aus der Provinz meist erst im Trainingszentrum von Staatscarrier Aeroflot in Moskau sitzen. Denn ein Boeing- oder Airbus-Flugsimulator ist mit Anschaffungskosten von 60 Millionen Euro nicht nur für die Fliegerschulen, sondern auch für kleinere Airlines unerschwinglich.
Bei der Einstellung wird eher nach guten Englischkenntnissen als nach fliegerischem Können gefragt. Vor allem aber, so Barilow, würden Disziplin und Verhalten in Krisensituationen bei der Ausbildung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Ruben Esajan, Held Russlands und im Forschungsinstitut für zivile Luftfahrt verantwortlich für Erprobung, sagte, die Besatzung der bei Jaroslawl abgestürzten Jak 42 habe ganze drei Sekunden Zeit gehabt, um den Start abzubrechen, sei psychologisch aber damit offenbar hoffnungslos überfordert gewesen.
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