Wie auf einem Wagenplatz
Das Occupy-Camp vor der EZB ist trotz der Kälte gewachsen und unübersichtlich geworden. Ein Ortsbesuch
Fast sieht es so aus, als wüchse oder vielmehr verdichtete sich das Occupy-Protestcamp auf dem Platz vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt stetig. Allerdings ist das Zählen der Zelte mittlerweile schier unmöglich geworden, weil ihre BewohnerInnen viele von ihnen mit großen Lkw-Planen überdeckt haben. »Wir machen den Laden hier winterfest«, erklärt ein Punker namens Assel grinsend, während er zwei Europaletten zusammenhämmert. Sie sollen als Bodenbelag des Pavillons dienen, den er mit ein paar Kumpels bewohnt: Zwischen Krümeln von Hundefutter, die sich über den Teppichboden verteilt haben, steht dort auch Assels E-Gitarre samt Verstärker, geheizt wird mit Elektroofen. »Geile Bude, oder?«, findet der Punker aus Nordhessen, der vor zwei Wochen zum Camp gestoßen ist und gar nicht daran denkt, in absehbarer Zeit wieder zu gehen. »Das hier ist wie ein Wagenplatz, nur mitten in der Stadt!«
Und in der Tat erinnert das Camp, das vor knapp sechs Wochen lediglich aus einer Handvoll Zelten bestand, teilweise eher an einen Wagen- denn an einen Zeltplatz: Viele der Zelte stehen mittlerweile auf Europaletten, zum Schutz vor der immer unerbittlicheren Bodenkälte, einige CamperInnen haben diese noch zusätzlich mit Styroporplatten aufgestockt, und zwischen den Zelten brennen Feuertonnen. Auch die anfangs provisorischen Küchen- und IT-Pavillons wurden durch stabile Jurten ersetzt, außerdem gibt es mittlerweile eine Kreativwerkstatt mit Kleiderkammer, in der Transparente gemalt werden und Kleidungsstücke ihre BesitzerInnen wechseln - und an den Wochenenden spielen Bands auf einer Bühne, die zu diesem Zweck auf die Mitte des Platzes gerollt wird.
»Das Camp war von Anfang an darauf ausgerichtet, auch im Winter weiter zu bestehen«, sagt Benny, der gerade im Halbdunkel des olivgrünen IT-Zeltes surrende Festplatten aneinanderstöpselt. Von dem Rechner, der in einem abschließbaren Metallschrank untergebracht ist, bloggen er und seine MitstreiterInnen Neuigkeiten aus dem Camp und verwalten die Facebook-Gruppe von Occupy Frankfurt, die mittlerweile mehr als 16 000 Mitglieder hat. Der 26-jährige Frankfurter, der zwar nie hier gezeltet hat, aber jeden Tag auf dem Protestcamp ist, weiß, wovon er spricht, schließlich war er seit Beginn an der Organisation beteiligt. »Wir wussten ja immer, dass wir so lange hier bleiben, wie es irgendwie möglich ist - dass es mittlerweile schon 40 Tage sind, ist ein riesiger Erfolg!«
Dennoch ist Bennys Stimmung heute ein wenig gedrückt. Grund dafür sind Unstimmigkeiten, die seit Anfang der Woche im Camp zu hitzigen Diskussionen führen: »Einige von uns haben den Verein ›Occupy Frankfurt Support‹ gegründet«, erklärt er. »Dadurch ist es beispielsweise möglich, Konten einzurichten, die eben nicht auf Privatpersonen laufen und in die Spenden eingezahlt werden können.« Zwischen 150 und 200 Euro landen täglich in der Spendenbox am Infozelt. Andererseits hat das Camp auch Ausgaben zu begleichen, etwa für Strom für die Rechner, Dixieklos und nicht zuletzt Schäden, die bei den Demos entstanden sind. »Dafür haften derzeit noch einzelne Beteiligte«, kritisiert Benny, der sein Studium vor Kurzem wegen Geldmangels abgebrochen hat. »Ich zum Beispiel hab nicht die Kohle, mal eben ein paar tausend Euro für eine kaputte Schaufensterscheibe zu berappen.« In der Asamblea, wie die Aktivisten ihr Plenum nennen, kamen die InitiatorInnen mit ihrer Idee zur Vereinsgründung allerdings auf Anhieb nicht durch: »Einige Leute meinten, dass dadurch Hierarchien entstünden, weil es einen elfköpfigen Vereinsvorstand geben sollte«, erzählt Benny. Den BefürworterInnen der Vereinsidee gingen diese Diskussionen jedoch zu schleppend voran: Zwar gibt es die Mittagsasamblea aufgrund mangelnder Beteiligung nicht mehr, bei den allabendlichen Plena kommen aber laut Bennys Aussage nach wie vor mindestens 30 Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Weltanschauungen zusammen. Weil die potenziellen VereinsgründerInnen jedoch fanden, dass die Zeit drängte, setzten sie ihre Idee dann letztlich ohne Absprache mit der Asamblea in die Tat um - »Und jetzt ist bei einigen Leuten so ein bisschen das Vertrauen weg.«
Eine grundsätzliche Gefahr für das Weiterbestehen des Protestcamps sind derartige Konflikte allerdings nicht, betont Benny. Zwar weiß auch er nicht, wie viele BesetzerInnen wirklich permanent auf dem Platz vor der EZB campieren und zitiert grinsend die kursierenden Schätzungen, die zwischen 30 und 200 schwanken: »Aber die, die sich hier wirklich beteiligen, sind mit so viel Leidenschaft dabei, dass wir locker noch bis ins Jahr 2034 hier aushalten.«
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